Giulia, oh Giulia!

1962 erblickte eine 4,14 Meter lange viertürige Limousine von Alfa Romeo das Licht der Welt. Sie schaut aus heutiger Sicht mit ihrer kastigen Karosserie nicht besonders schnittig aus, ein Eindruck, der durch die auf 1,43 Meter Höhe aufragende Fahrgastzelle noch verstärkt wird, Tatsächlich wurde die Italienerin mit dem romantischen Namen aber im Windkanal entwickelt und hat seit damals nicht nur Alfisti betört. Ihre aktuelle Namensvetterin streckt sich auf 4,65 Meter – bei gleicher Höhe wie einst. Eine unerwartete Ausfahrt mit einer Giulia in Rennversion lässt das Herz ebenso hoch schlagen wie eine Runde in neuzeitlicher Quadrifoglio-Ausführung – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. 

Von Gundel Jacobi

Trotz Rennversion als Giulia erkennbar. Klein, stark und weiß steht sie da: die Giulia Super von 1967 mit ihrem auf 130 PS getrimmten 1,6-Liter-Motor. Zugegebenermaßen kann man sie in jeder Hinsicht nur bedingt mit aktuellen Giulias vergleichen. Leider weiß man nur wenig über den genauen Werdegang des angereisten Modells, das 1967 von Mailand nach Rom ausgeliefert wurde. Jedenfalls verlor sie ihre Serienunschuld Mitte der 1970er Jahre, als sie zur Rennziege umgebaut wurde und in privater Hand sowohl auf Bergrennen als auch auf Rundstrecken zeigen durfte, was in ihr steckt. Erst im Jahr 2010 hat sie offenbar den Weg nach Deutschland gefunden – nach wie vor ohne Stoßfänger und um 15 (!) Zentimeter tiefer gelegt. Das Einfädeln in den Rennschalensitz erfordert hohe Konzentration, und ein paar Augenblicke später drängt sich bereits die nächste Hürde auf: Als Sitzriesin wäre alles leichter, denn die tiefe Position erschwert das präzise Hinausschauen über die Motorhaube hinweg. Immerhin wird somit eine aufrechte Haltung zwangsweise hervorgerufen.

Los geht’s im Windkanal-Wunder. Nicht weiter verwunderlich ist die Existenz eines Zündschlosses, was man aus heutigen Fahrzeugen so gut wie gar nicht mehr kennt. Also heißt es: Zündung an! Danach muss aber noch ein Startknopf betätigt werden, was diese Giulia überdeutlich als Rennauto ausweist. Los geht’s im zweiten Gang, dann erst in den ersten, damit sich das Getriebe synchronisiert. Überhaupt das Getriebe: Es stammt auch noch von früher – mit fünf Gängen, was allein schon als damalige Besonderheit galt. Anfänglich betont die Giulia-fürsorgliche Beifahrerin, wie dankbar sie ist, dass die Steuer-Frau sehr vorsichtig, sprich: langsam fährt. Man könnte auch sagen, dass es erst mal kriechend vorangeht. Logisch, denn es dauert seine Zeit, bis der Motor warm gefahren ist – eine der wichtigsten Voraussetzungen für sein langes Leben.

Die Eile mit Weile wird schließlich belohnt, die Öltemperatur steigt auf 80 Grad. Einmal unterwegs auf kurvigen Bergstraßen merkt man von Minute zu Minute mehr, wie wohl sich der Wagen fühlt. Dies überträgt sich auf die Zweierbesatzung, es wird darüber sinniert, was genau hinter der Bezeichnung „Giulia – das Windkanal-Wunder!“ stand: Mit einem für damalige Verhältnisse betörend niedrigen Luftwiderstandsbeiwert von 0,35 schaffte sie es mühelos in die einschlägige Gazetten-Berichterstattung. Wohlgemerkt: Giulia war ursprünglich eine Art eierlegende Wollmilchsau, die perfekte Mischung aus Familienkutsche unter der Woche und Sportflitzer am Wochenende, natürlich für den Herrn Papa.

Lebenswille erwacht bei 5000 Umdrehungen. Die Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h erreicht das Damenteam am milden Spätsommermorgen auf öffentlichen Straßen nicht und legt es darauf auch gar nicht an. Man kann den Wagen sehr zivil fahren, der sich vom Motor her auch sehr ruhig bei 3000 Umdrehungen bewegt. Aber beim geringsten Hauch eines Gasstoßes reagiert Giulia blitzschnell. Man hat das Gefühl, dass ihr unbedingter Lebenswille bei 5000 Umdrehungen erst richtig erwacht. Ganz nach Alfa-Manier könnte man sie munter hochjagen bis auf 7200 Umdrehungen, da erst hätte sie ihre volle Leistung. Was im bewohnten Gebiet dagegen spricht? Die Schonung der Nerven auch weiter weg wohnender Menschen, denn Giulia tendiert dazu, sich dann sehr laut bemerkbar zu machen, nicht zuletzt wegen des Vergasers ohne Luftfilter. Im Übrigen ist es ein Genuss, den Hecktriebler über die Hunsrücker Straßen zu treiben, auch ohne die Grenzbereiche anzuzapfen. Wobei der Genuss eindeutig auf das Gehirnfeld abzielt, das für spezielle Oldtimer schlägt; denn die rennende Giulia verfügt über ein knüppelhartes Fahrwerk, das nur unter Ausschaltung jeglicher Vernunft und unter Hinzuziehung kompletter Alfisti-Leidenschaft ins Positive zu übertragen ist.

Ungleiche Vergleichsfahrt im Quadrifoglio. Ein Erlebnis ist es allemal und regt dazu an, mit einer nur im Entferntesten angesiedelten Giulia-Nachfahrin der Neuzeit eine Art Vergleichsrunde zu drehen. Da kommt natürlich nur eine Quadrifoglio-Vertreterin in Frage. War schon die außerordentliche Zeitzeugin von 1967 eine Wölfin in einem gewissen Schafspelz, so gehört die aktuelle 2,9-Liter-V6-Biturbo-Giulia mit viermal so vielen Pferdchen (520) und Maserati-Genen ebenfalls zur bestens getarnten Leistungsspitze der Ingenieurskunst – im doppelten Wortsinn. Denn der vierblättrige Glücksklee, der die italienische Schönheit ziert, zeugt unmissverständlich davon, dass es sich um ein besonderes Modell dieser Limousine mit Stufenheck handelt – in erster Linie, was den Antrieb und den Preis betrifft.

Auch hier wedelt der Heckantrieb um die Kurven, und man kann und muss die überbordende Kraft im Zaum halten. Denn je nach gewähltem Fahrprogramm sollte man sie samt vierflutiger Abgasanlage bestenfalls auf abgesperrter Strecke bis zum Rennbetrieb hin fauchen lassen. Die 3,9 Sekunden von Null auf Tempo 100 sind dann ebenso gesetzt wie eine Höchstgeschwindigkeit von 307 km/h. Wer noch einen letzten Zweifel an der Befähigung zur auserlesenen Giulia-Ikone in der modernen Renn-Riege haben sollte, dem sei der Hinweis auf den Preis gestattet, der bei rund 100.000 Euro beginnt.    


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