„Elektroautos sind nicht sauber!“

Die chinesisch-schwedische Marke Polestar gilt mit ihren Premium-Elektrofahrzeugen als junges und fortschrittliches Unternehmen, das wie viele andere Autohersteller eigene Standards beim Thema Nachhaltigkeit entwickelt hat und sie zielstrebig verfolgt. Im hauseigenen Nachhaltigkeitsbericht 2024 wird einmal mehr die Vision von der kompletten Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 beschworen. Klar ist vor allem eines: Es ist ein steiniger Weg dorthin.    

Von Gundel Jacobi

Hartnäckigkeit: Das Ziel ist ebenso ehrenwert wie ehrgeizig für die seit acht Jahren aktive Automobilfirma, die als Luxus-Tochter von Volvo nicht nur dem schwedischen Imperium angehört, sondern auch noch die Konzerninteressen des alles überspannenden chinesischen Geely-Daches mitbedenken und umsetzen muss. Als ob dies nicht schon genug wäre, stehen die weltweiten Zeichen für nachhaltiges Handeln aktuell nicht gerade auf der gesellschaftlichen Prioritätenliste. Doch davon lässt sich Fredrika Klarén nicht beirren: „Auf Dauer wird sich die Hartnäckigkeit auszahlen“, betont die im Hause Polestar eigens für Nachhaltigkeit zuständige Fachfrau. Dabei macht sie die ganz große Kiste auf, denn in ihren Bereich fällt nicht nur der allseits bekannte CO2-Fußabdruck und die damit verbundenen Anstrengungen – immerhin müssen über 30.000 Fahrzeug-Komponenten auf den Prüfstand. Zudem erklärt sie ziemlich unverblümt, dass man sich auch nichts vormachen dürfe: „Elektroautos sind nicht sauber!“ Zur Untermalung ihrer eindeutigen Botschaften erklärt sie, dass aktuell beispielsweise ein Polestar 4 nicht unter 19,4 Tonnen CO2-Ausstoß komme, sofern man den kompletten Produktionsweg von der Rohstoffgewinnung über die Fertigung bis zum Transport ab Werkstor nachverfolgt. Da könne es auch nicht maßgeblich trösten, dass ein klassisches vergleichbares Modell mit Verbrennungsmotor locker mehr als das Dreifache an CO2 für sich in Anspruch nähme. Beinahe entschuldigend fügt sie hinzu, dass es technologisch zwar machbar wäre, beim Polestar 4 die 15-Tonnen-Grenze zu knacken, aber im Hinblick auf die Kosten wäre dies im Moment einfach nicht zu finanzieren.   

Was hilft? Eine gute Nachricht hat sie aber doch, denn der konsequent eingeschlagene Weg zeigt offenbar Wirkung: Betrachtet man den Anfang der Messungen im Jahr 2020, so  hat Polestar seinen CO2-Fußabdruck pro verkauftem Fahrzeug um rund ein Viertel (24,7 Prozent) verringert. Zu den wichtigsten Faktoren für diesen Erfolg zählen der verstärkte Einsatz von kohlenstoffarmem Aluminium, Verbesserungen in der Batterieherstellung, Verwendung von 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien in der Produktion aller Modelle und ein wirtschaftlicherer Transport in Kombination mit der verstärkten Nutzung von Biokraftstoffen auf den Seerouten. Letztlich kann man nach ihren Erläuterungen weiter an allen genannten Stellschrauben drehen, abgesehen davon steckt offensichtlich noch eine Menge Veränderungspotenzial in Details der Alu- und Stahlherstellung. Zur Verdeutlichung: Mit 45 Prozent sind diese Rohstoffe fast zur Hälfte an den Emissionen bei einem Polestar 2 beteiligt.

Zusammenhänge: Je mehr man in die Tiefe geht, umso mehr schwirrt einem der Kopf. Klarén möchte aber gar nicht einzig die CO2-Diskussion in den Vordergrund stellen. Die streitbare Frau hat das große Ganze im Blick und erweitert den Bereich der Nachhaltigkeit mühelos durch ebenso wichtige Säulen wie Kreislaufwirtschaft, Transparenz und Inklusion – und lässt sich diesbezüglich auch nicht von der US-amerikanischen Regierung den Mund verbieten. „Alles hängt mit allem zusammen, wir sind auf Partner, Kreativität und technologischen Fortschritt angewiesen.“ Damit nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht und rundum vergleichbare Prozesse ablaufen, ruft Fredrika Klarén die Politik auf, verbindliche Regeln einzuführen.

Bis es soweit ist, bemüht sie sich, die Werbetrommel für fortschrittliche Materialien, Produkte und Prozesse zu rühren. Fakt ist nach den Erhebungen in der Polestar-Zentrale in Göteborg: Die Kundschaft legt großen Wert auf Design und Leistungsstärke ihrer Modelle, aber bereits an dritter Stelle steht in der Reihenfolge der Wünsche die Nachhaltigkeit.  


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