


Ein Ritt auf 700 Kilometer
Neben der Limousine Polestar 2 sowie dem SUV-Coupé Polestar 4 hat sich im letzten Herbst ein drittes Modell der Volvo-Luxusschwester unter chinesischer Geely-Führung hinzugesellt.
Von Gundel Jacobi
Das SUV Polestar 3 ist mit 4,90 Metern das derzeit längste Fahrzeug der Elektro-Marke. Bislang wurde es nur als Allradler verkauft. Das soll sich ab sofort ändern, denn der Polestar 3 Long Range Single Motor macht mit Heckantrieb und einer Reichweite von 706 Kilometer auf sich aufmerksam. Somit setzt er sich auf Langstrecke an die Spitze aller Polestar-Baureihen, bis ihm der stromernde Atem ausgeht.
Etwas mühsamer Beginn. Jaja, es bedeutet immer einen gewissen Zeitaufwand, wenn man erstmals in ein Fahrzeug steigt und Sitz, Lenkrad sowie sämtliche Spiegel einstellen muss. Trotzdem sind wir der Meinung, man muss es doch nicht unnötig komplizierter machen. Deshalb nochmal der Hinweis, wie unsinnig wir es finden: das lästige Einstellen der Außenspiegel sowie des Lenkrads per Bildschirm und Steuerungstasten am Lenkrad. Scherzkekse könnten indes darauf hinweisen, dass dafür der Motorstartknopf eingespart wird und man sofort mit Einlegen der Fahrstufe losfahren kann. Wie dem auch sei: Die Mühen der Einstellungen sind schnell verblasst, und das gewohnt flüsterleise Vorankommen gewinnt die Oberhand. Aber Moment, irgendwas ist anders als beim Allrad-Polestar 3, und damit meinen wir nicht den veränderten Fahrbetrieb mit einer Antriebsachse weniger. Es ist die fehlende Luftfederung! Denn das Stahlfahrwerk ist zwar nicht unkomfortabel, jedoch deutlich härter abgestimmt. Wir finden es gut, dass man diesen Unterschied auch feststellen kann – und wie so häufig zeigt sich hier einmal mehr, dass man als Kunde das passende Paket finden muss.
Einstieg als Langstreckenmeister. Polestar-Entwicklungschef Lutz Stiegler hat einen Sinn für erfrischend formulierte Worte: „Diese Long Range Single Motor-Variante ist nicht untermotorisiert, auch wenn es das 3er-Einstiegsmodell verkörpert.“ Recht hat er, denn mit knapp 300 Pferdestärken galoppiert der Wagen je nach Druck aufs Fahrpedal voran, wobei entsprechende Spurts innerhalb der bunten Elektro-Gemeinde mehrheitlich eher verpönt sind – man möchte im Bekanntenkreis doch lieber mit Reichweite als mit Höchsttempo glänzen. Genau hier spielt der Hecktriebler seinen Trumpf aus: Rund 700 Kilometer auf einen Ritt sind für das leer knapp Zweieinhalb-Tonnen-Schwergewicht schon eine Ansage – gegenüber rund 570 Kilometer beim Performance-Allradler. Sofern es keine Steigungen und weithin tempobegrenzte Strecken gibt, kommt man zumindest in die Nähe dieses Wertes. Dies zeigt unsere Erfahrung auf einer ausgiebigen Tour über Land, an deren Ende wir einen Verbrauch von 18,9 kWh notierten.
Magische 30 Minuten Ladezeit. Überhaupt nicht meckern kann man bei den Ladefähigkeiten des 400-Volt-Polestar 3: Er bunkert die Elektrizität an der Schnellladesäule von zehn auf 80 Prozent in der offenbar ohne Murren und Knurren hinnehmbaren Zeit seiner Strom-Stöpsler – nämlich binnen 30 Minuten. Dann werden gemäß der 80-Prozent-Ladung zwar keine 700 Kilometer am Stück zu protokollieren sein, aber wer fährt auch schon von Ulm nach Hamburg in einem Rutsch? Wer also eine richtig lange Strecke vor sich hat, nutzt gerne die Ladeplanung, bei der sich Polestar auf Google beruft. Das gelingt beim Test einwandfrei, allerdings kann man leider keinen individuellen Prozentwert eingeben, mit dem man jeweils die nächste Säule anfahren möchte. Das System errechnet automatisch zehn Prozent bei Ankunft an der Ladesäule. Also muss es die mit etwas schwächeren Nerven bedachte Fahrerin eben selbst im Blick behalten und beim angedachten Wert unterwegs aktuell nach einer Ladesäule fahnden, was ebenfalls kein Problem darstellt. Da in der mobilen E-Welt über wenig so ausführlich diskutiert wird wie über möglicherweise eines Tages merklich schrumpfende Ladezeiten, gibt Lutz Stiegler einen vorsichtig markigen Ausblick: „300 Kilometer in zehn Minuten zu laden, ist technisch möglich.“
Schwedisches Innenleben. Das klarenordische Design mit glatten Flächen setzt sich erwartungsgemäß bei allen bisherigen Polestar-Modellen genauso durch wie auch bei der Volvo-Schwester, sprich: Es muss aufgeräumt wirken, an keinen Schnörkeln oder scheinbar überflüssigen Linien sollen die Augen hängen bleiben. Apropos Ordnung halten: Das ist vielleicht im fast fünf Meter langen Schweden-3er gar nicht so einfach. Denn mit einem zweigeteilten Kofferraum von 484 Liter wird eine womöglich fünfköpfige Reisegesellschaft diszipliniert Maß halten müssen. Immerhin gibt es den berühmten Frunk – also ein Fach unter der Vorderwagenhaube, das mehr als ein Ladekabel aufnehmen kann.
Gut gefülltes Geldsäckel. Man kann es ahnen und wird bestätigt: Der Einstieg in die Polestar 3-Welt hat ihren nicht unbedingt Schnäppchenalarm auslösenden Preis. Es geht los in der Preisliste mit dem heckgetriebenen Polestar 3 Long Range Single Motor ab 78.590 Euro, wobei man derzeit bis Ende September einen hauseigenen Abschlag von 4000 Euro bekommt. Selbiger gilt auch bei den Allradmodellen, die auf der Liste bei 81.590 Euro beginnen.
Autogramm
Polestar 3 Long Range Single Motor
Typ: SUV; Preis: 78.590 Euro; Länge: 4,90 Meter; Breite: 1,97 Meter; Höhe: 1,62 Meter; Radstand: 2,99 Meter; Leergewicht: 2403 Kilogramm; Zuladung: 284 Kilogramm; Kofferraum: 484-1411 Liter; Sitze: fünf; Motor: Permanentmagneterregte E-Synchronmaschine; Leistung: 299PS/220 kW; Drehmoment: 490 Newtonmeter; Spitze: 180 km/h; 0 auf 100 km/h: 7,8 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku; Batteriekapazität: 111 Kilowattstunden (kWh); Reichweite: 706 Kilometer; Wallbox Wechselstrom 11 kW: 11 Stunden (100 Prozent), Ladestation Gleichstrom 250 kW: 30 Minuten (80 Prozent), Stromverbrauch: 17,6-20,3 kWh/100 Kilometer; CO2-Ausstoß: 52-60 Gramm/Kilometer (Strommix Deutschland).

