Smart im zweiten Anlauf

Der Smart #1 ist das erste Auto, das nach dem Einstieg des chinesischen Herstellers Geely vor drei Jahren auf den deutschen Markt kam. Zuvor hatte Daimler-Benz seit 1994 vergeblich versucht, mit Smart-Kleinstwagen Gewinne zu erzielen. Wir fuhren die Premium-Fassung mit Heckantrieb.

Von Bernd-Wlfried Kießler

Was ist das für ein Auto? Es handelt sich um einen vollelektrischen Kompaktwagen aus chinesischer Herstellung mit Konstruktions- und Designabteilung im Dunstkreis von Mercedes-Benz, das weiterhin 50 Prozent an der Marke hält. Das Doppelkreuz # wird englisch Hashtag ausgesprochen, wobei hash für Raute und tag für Schlagwort steht. Im Netz wird der Begriff für Stichwort verwendet – die Namensgeber bei Smart wollten damit ihren Sinn für den Zeitgeist demonstrieren. Die Entwicklung findet vor den Toren Stuttgarts statt, aber natürlich werden chinesische Komponenten verwendet, zumal das Auto in China vom Band läuft. Das ursprüngliche Smart-Werk im lothringischen Hambach wurde 2021 an den britischen Hersteller Ineos verkauft, der dort jetzt Geländewagen vom Typ Grenadier & Co baut. Was das Äußere des #1 betrifft, so kann man da noch am ehesten entfernte Linien der Ur-Smarts erkennen, wenn man sie mit den weiteren Modellen Smart #3 und #5 vergleicht. Das scheinbar schwebende Dach könnte auch von früheren Mini-Modellen stammen, verleiht dem Auto allerdings eine gewisse eigenständige Note.

Wie fühlt man sich in diesem Auto? Rahmenlose Scheiben an den Türen vermitteln ebenso etwas Besonderes wie das große feste Glasdach, unter dem auf Knopfdruck ein Sonnenrollo ausfährt. Der Eindruck des Gehobenen ist nicht so falsch, denn man kommt in einem Auto zu sitzen, dessen Kaufpreis es nicht mehr weit bis zur 50.000-Euro-Schwelle hat. Auch wenn Mercedes Mitinhaber der Marke Smart ist, so empfindet man einiges an Geely-Erbgut in Form von chinesischen Eigenarten, um nicht Spielereien zu sagen. So springen einem die vollversenkten Türgriffe entgegen, wenn man sich dem Auto nähert. Das Auto ist vollständig fahrbereit, sobald man mit dem Schlüssel in der Hand oder Tasche auf dem Fahrerplatz sitzt: Zündschloss oder Startknopf sind Vergangenheit. Auf dem Bildschirm räkelt sich wie in einem Zeichentrickfilm sinnfrei ein Fuchs, der die Schnauze bewegt, wenn man die Sprachsteuerung nutzt. Wie sagt die Bibel? „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …“. Auf der Mattscheine beginnt mit einem Tipp die Verstellung der Außenspiegel, deren Vollendung auf dem Lenkrad stattfindet – nach dem Motto: Warum denn einfach, wenn’s auch umständlich geht!

Welchen Antrieb hat das Auto? In Erinnerung an die ursprünglichen Smarts Fortwo und Forfour hat auch der #1 Heckantrieb. Sicherheitstechnisch ist das schon lange kein Problem mehr, da Heckschleuderei bei Glätte durch elektronische Fahrhilfen wie ESP verhindert wird. Es gibt auch stärkere Ausführungen als unseren Testwagen, die ein zweiter E-Motor vorn zu Allradlern macht. 272 PS/200 kW sind für ein leer 1,8 Tonnen wiegendes Auto reichlich – bei 180 km/h wird so wie bei Volvo abgeregelt. Mit den Schweden ist der Smart via Geely finanziell und technisch verwandt. Wichtiger als Höchstgeschwindigkeit ist bei E-Autos die Frage nach Ladetempo und Reichweite. Smart sagt am Schnelllader eine halbe Stunde von 10 auf 80 Prozent vorher, an einer gewöhnlichen Säule soll es ungefähr drei Stunden dauern. Wer sich mehr Zeit nimmt und bis auf 100 Prozent lädt, soll mit einer vollen Batterieladung von 66 Kilowattstunden 440 Kilometer weit kommen. In der Praxis ist uns das tatsächlich gelungen, und zwar nicht an einem heißen Sommertag, an denen die Batterien bekanntlich besonders aufnahmefreundlich sind, sondern bei ganz üblichen 19 Grad Celsius Lufttemperatur.  Von 40 auf 80 Prozent hat’s eine halbe Stunde gedauert – bei einer Reichweiten-Vorhersage von 352 Kilometer.

Was bietet dieses Auto? Zustimmende Erwähnung verdient die längs verschiebbare Rückbank als Teil der vielfachen und variablen Stauräume. Das Fach unter der Motorhaube, der sogenannte Frunk, ist eine Kleinigkeit. Unter dem ebenen Ladeboden in Höhe von 75 Zentimetern über der Fahrbahn dient ein 100-Liter-Fach sehr wohl als Zusatznutzen. Die Lehnen der hinteren Sitze, die in geklapptem Zustand der stufenlosen Verlängerung des Gepäckraums dienen, sind überdurchschnittlich schwer. Vorn im Cockpit gibt’s unter der schwebenden Mittelkonsole ein offenes Fach, in das sogar eine Handtasche passt.

Und unterwegs? Man kommt erwartungsgemäß flott und leise mit präziser Lenkung voran, die großen 19-Zoll-Räder überrollen kleinere Unebenheiten. Wird die Straße holprig, spüren’s die Insassen, alldieweil das Fahrwerk straff abgestimmt ist.

Autogramm

Smart #1 Premium

Typ: Kompaktwagen; Preis: 47.490 Euro; Länge: 4,27 Meter; Breite: 1,82 Meter; Höhe: 1,64 Meter; Radstand: 2,75 Meter; Leergewicht: 1800 Kilogramm; Zuladung: 470 Kilogramm; Kofferraum: 313+100+15/986 Liter; Sitze: 4+1, Antrieb: E-Motor 272 PS/200 kW, Drehmoment: 343 Newtonmeter; Spitze: 180 km/h (abgeregelt); 0 auf 100 km/h: 6,7 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku; Batteriekapazität: 66,0 Kilowattstunden (kWh); Ladeleistung: bis zu 150 kW; Reichweite (WLTP): 440 Kilometer; Reichweite im Test: bis zu 440 Kilometer; Stromverbrauch (WLTP): 16,8 kWh/100 Kilometer; entsprechender CO2-Ausstoß (deutscher Strommix 2024: 363 g/kWh): 61 Gramm/Kilometer; Testverbrauch: 15,9 kWh/100 Kilometer.


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