Geschmacksfrage? Bingo!

Er ist ein Geschmacksträger – je nach Vorliebe mit Steilheck und großer Kofferraumklappe oder als langgestrecktes Fließheck mit kleiner Klappe bestückt. Mutmaßlich wird der komplette Stromer in unseren deutschen Gefilden traditionell mit großer Klappe bevorzugt. Ob so oder so: Der EV4 darf ein astreiner Kompaktwagen oder eine Limousine sein, ohne jegliche SUV-Allüren, was sich unmittelbar auf einen vorbildlichen Stromverbrauch niederschlägt.   

Von Gundel Jacobi

Jeder Zweite wird ein Kompakter. Darf’s vorneweg ein bisschen Statistik sein? Im sogenannten C-Segment, das sind die kompakten Fahrzeuge zwischen Kleinwagen und unterer Mittelklasse, gingen im vergangenen Jahr knapp 20 Prozent der Neuzulassungen in Deutschland auf das Konto von Kompaktwagen. Damit war jeder Fünfte ein Kompakter. Nicht nur Kia rechnet mit einer deutlichen Zunahme dieser Wagen um die viereinhalb Meter Länge. Bereits im Jahr 2033 sprechen Prognosen von 50 Prozent in dieser Klasse. Kein Wunder, dass Kia sich weltweit einiges von diesem voluminösen Kuchen abschneiden möchte. Daher sind der jüngst erschienene EV3 und ein im nächsten Jahr auftretender K4 ebenso logisch wie der nun neue EV4 – wobei die Logik der Kia-Bezeichnungen K für Verbrenner und EV für Stromer rasch nachvollziehbar ist.

Am Heck sollt ihr mich unterscheiden. Jeder Hersteller denkt, dass sein Design unverwechselbar rüberkommt. Dies zu beantworten liegt im Auge der Betrachtenden und dürfte von Mal zu Mal einige Überraschungen von Zuordnungen beinhalten. Was man jedoch bei den aktuellen Kias ziemlich klar feststellen kann: Sie fallen in ihrer Formensprache auf, selbst wenn einige Mitmenschen sie nicht gleich dem Südkoreaner zuordnen können. Der nagelneue EV4 ist in der Bugansicht wieder einmal bullig und reduziert zugleich. Die einstige Tigernase lässt sich nur noch schwer erkennen. Aber die wenigen langgezogenen und geschwungenen filigranen Linien und viel glatte Fläche samt der hochkant am äußeren Rand positionierten Leuchten fordern in der Regel zum zweiten Hingucken auf.

Vorne gleich gestylt, zieht der Steilheckler in der rückwärtigen Ansicht mit seiner durchgezogenen Leiste und den ebenfalls hochkantigen Leuchten den Wagen sichtlich in die Breite, was durch den oben angeflanschten Spoiler noch unterstrichen wird. Allerdings wirkt er geradezu oberbrav gegenüber dem Fließheckler – bei ähnlicher Leuchtengrafik dehnt nicht zuletzt die hinten weit gestreckte Scheibe einschließlich Minispoiler-Lippe das Fahrzeug merklich in die Länge. Fragt sich nur, ob dies bei aller Auffälligkeit wirklich schöner aussieht oder eben nur merkwürdig anmutet. Hier darf der Geschmacks-Joker zu Rate gezogen werden.

Klasse Beinfreiheit in der zweiten Reihe. Auffällig ist das große Lenkrad, wenn man sich auf die – wem’s gefällt –  angenehm tief montierten Sitze niedergelassen hat. In Zeiten, in denen vor allem bei Peugeot quasi dem Ruder in seiner Verkleinerung eine zunehmende Nebenrolle bescheinigt wird, kann man bei Kia dessen zupackende Bedeutung erkennen. Geschmacksfrage? Bingo! Ansonsten herrscht im Cockpit ein aufgeräumtes Infotainment, weitgehend über Bildschirme oder Sprachassistentin zu bedienen. Prädikat: unauffällig. Wer die Freude hat, in der zweiten Reihe Platz zu nehmen, wird noch lange an die dortige überdurchschnittliche Beinfreiheit denken, wohlgemerkt: bei einem knapp viereinhalb Meter langen Kompakten. Der Kofferraum ist durchschnittlich gezimmert: 435 Liter in zwei Etagen. Auch da wird man sich Gedanken machen müssen, ob man dem über eine große Kofferraumklappe zu beladende Steilheckmodell oder der größeren Limousine mit 55 Liter mehr Gepäckraum, aber schwerer zugänglich über eine kürzere Klappe, den Zuschlag gibt.                

Wettbewerb der Reichweiten. Hier kann man gleich zur Sache kommen, denn die Reichweite hat es in sich, die Kraftentfaltung bei 204 PS/150 kW sowieso. Ohne allzu spitzfindig zu sein, denn man muss sowohl die Batteriegröße als auch Ausstattung und Reifen in Augenschein nehmen: Im Idealfall, also bei kleinem 58,3-kWh-Akku, 17-Zoll-Reifen und Air- oder Earth-Ausstattung beträgt die WLTP-Reichweite 440 Kilometer. Dieselben Bedingungen mit größerem 81,4-kWh-Akku weisen eine maximale Reichweite von 625 Kilometer aus. Das ist schon eine Nummer, absolut wettbewerbstauglich, auch wenn wie bei allen E-Reichweiten der theoretische vom praktischen Wert massiv abweicht. Der Preissprung von der kleinen zur größeren Batterie beträgt 5650 Euro.

Übrigens konnten wir auf EV4-Testfahrt mit dem Steilheckler absolut Maß halten: Mit 15,2 kWh lagen wir innerhalb des WLTP-Verbrauchs von 16,2 kWh auf 19-Zoll-Reifen. Mehrfach nutzten wir obendrein die unterschiedlichen Rekuperationsstufen – bis hin zum l-paddle-Modus, bei dem das Auto zum Stillstand kommt, wenn man das Fahrpedal ganz zurücknimmt. In Sachen Fahrwerk hatten wir den Eindruck, dass der EV4 ganz klar auf Komfort getrimmt ist, ohne jedoch schwammig zu wirken. Die Ladephilosophie beruht auf 400 Volt – hier gab’s wohl den Kosten-Rotstift, so dass die 800 Volt der größeren Kia EV-Brüder noch unerreichbar sind. Fünfeinhalb Stunden an der heimischen 11 kW-Wallbox und 29 Minuten am Schnelllader (mit maximal 128 kW kurzzeitiger Ladeleistung) sind Mittelmaß.

Preis-Poker der gleichen ungleichen Brüder. Der EV4 mit Steilheck in der Basisausstattung Air wird im slowakischen Kia-Werk Zilina gebaut – sozusagen in Europa für Europa – und steht ab 37.590 Euro beim Händler. Der Einstiegspreis des EV mit Fließheck, der in Korea vom Band läuft – sozusagen als Weltauto für die ganze Erde – beträgt fast 10.000 Euro mehr. Allerdings beinhalten die 47.140 Euro von vornherein die größere Batterie und die mittlere Ausstattung namens Earth. Stellt man ihm das vergleichbaren Earth-Steilheckmodell mit größerer Batterie zur Seite, schlägt dieses mit 45.540 Euro zu Buche – also nicht mehr als 1600 Euro echter Preisunterschied. Die Markteinführung der beiden EV4-Stromer findet frontgetrieben statt. Später wird noch ein Allradler nachgeschoben.

Autogramm

Kia EV4 Steilheck Air

Typ: Kompaktwagen; Preis: 37.590 Euro; Länge: 4,43 Meter; Breite: 1,86 Meter; Höhe: 1,49 Meter; Radstand: 2,82 Meter; Leergewicht: 1811 Kilogramm; Zuladung: 459 Kilogramm; Kofferraum: 435-1415 Liter; Sitze: fünf; Motor: Elektromotor, Permanentmagneterregte Synchronmaschine; Leistung: 204PS/150 kW; Drehmoment: 283 Newtonmeter; Spitze: 170 km/h (abgeregelt); 0 auf 100 km/h: 7,4 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku; Batteriekapazität: 58,3 Kilowattstunden (kWh); Reichweite (WLTP): 440 Kilometer; Wallbox Wechselstrom 11 kW: 5 Stunden, 20 Minuten (10-100 Prozent), Ladestation Gleichstrom 350 kW: 29 Minuten (10-80 Prozent), Stromverbrauch (WLTP): 14,9 kWh/100 Kilometer; CO2-Ausstoß: 44 Gramm/Kilometer (Strommix Deutschland 2024).

Autogramm

Kia EV4 Fließheck Earth

Typ: Limousine; Preis: 47.140 Euro; Länge: 4,73 Meter; Breite: 1,86 Meter; Höhe: 1,48 Meter; Radstand: 2,82 Meter; Leergewicht: 1900 Kilogramm; Zuladung: 455 Kilogramm; Kofferraum: 490-1435 Liter; Sitze: fünf; Motor: Elektromotor, Permanentmagneterregte Synchronmaschine; Leistung: 204PS/150 kW; Drehmoment: 283 Newtonmeter; Spitze: 170 km/h; 0 auf 100 km/h: 7,7 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku; Batteriekapazität: 81,4 Kilowattstunden (kWh); Reichweite (WLTP): 633 Kilometer; Wallbox Wechselstrom 11 kW: 7 Stunden, 15 Minuten (10-100 Prozent), Ladestation Gleichstrom 350 kW: 31 Minuten (10-80 Prozent), Stromverbrauch (WLTP): 14,4 kWh/100 Kilometer; CO2-Ausstoß: 43 Gramm/Kilometer (Strommix Deutschland 2024).


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