Eine Göttin voll unter Strom

Vollmundig ist das Versprechen, mit der nagelneuen Reiselimousine DS N°8 bis zu 750 Kilometer weit fahren zu können, ohne einen Ladestopp einlegen zu müssen. Wohlgemerkt: komplett batterieelektrisch. Was wir nach einer ersten Testfahrt unverhohlen berichten können ist in jedem Fall, dass es in dem DS-Flaggschiff ziemlich komfortabel zugeht.

Von Gundel Jacobi

Ungewöhnliche Spezies. Zackig steht sie da – die späte Nachfahrin der Göttinnen. Natürlich hat sich die seit elf Jahren eigenständige Marke DS längst von der einstigen Déesse 19 (französisch: Göttin) abgenabelt. Letztere wurde von 1955 bis 1975 gebaut und unter dem Citroen-Dach als DS verkauft. Nun befinden wir uns im Jahr 2025 – es wird aber nicht weniger kompliziert, denn seit kurzem setzen die DS-Franzosen ihren neuen Modellen ein N° vor die Zahl, mutmaßlich, weil dieses Numéro die Exklusivität des Automobils unterstreichen soll. Sei’s drum: Es ist nicht nur die Marketingsprache oder die Tatsache, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im DS N°8 Platz nimmt, die einen zur wohlwollenden Betrachtung des neuen DS-Spitzenmodells verführt.

Dieses Fahrzeug gehört nämlich zur ungewöhnlichen Spezies der SUV-Coupés, sieht also von vorn  aus wie ein SUV, wirkt am Heck wie eine mächtige Fließhecklimousine und zeigt seitlich betrachtet deutlich die nach hinten abfallende Coupé-Linie. Des weiteren fällt am geschlossenen Vorderwagen-Grill um das DS-Logo der drapierte stilisierte Stabvorhang auf, welcher bei Nacht sogar leuchtet. Hingucker Numéro 1 dürften jedoch die hochkantigen V-förmigen Tagfahrlichter sein, so oder so ähnlich allerdings keinesfalls eine Ausnahmeerscheinung in der automobilen Welt. Wie man die Achter-Göttin auch immer dreht und wendet, sie ist definitiv bullig, windet sich aber mit ihren bemerkenswerten Proportionen aus jeglichem Allerlei gelungen heraus.        

Viel Licht und etwas Schatten. Filigraner geht es im Innenraum zu – wie mit dem gewohnten Chic von vielbeschworenen Pariser Dessous. Hier ist es je nach Ausstattung die gesamte Bandbreite von Dekor-Nähten, über Alcantara-Bezug bis hin zu blitzendem Hufnageldesign. Auffällig, noch bevor man die hervorragende Sitzqualität des ihrem Namen alle Ehre machenden Lounge-Gestühls bewusst wahrgenommen hat, sind die in die Türverkleidung eingepassten Lautsprecher, wohin man exakt zum Zuziehen der Portale greift. Das X-Speichen-Lenkrad sticht ebenso ins Auge wie das in dieser Fahrzeugklasse beinahe schon verpflichtende Panoramaglasdach.

Wir hätten es uns denken können: Bei allem DS-Individualitätsanspruch und Flaggschiff-Interieur – die Schaltkulisse der Vorwärts-Rückwärts-Automatik entspricht 1:1 jener kleinteiligen Bedienungsanordnung wie in allen Stellantis-Fahrzeugen neuerer Generationen. Wir finden sie zweckmäßig, jedoch ohne jegliche Inspiration – und eines N°8 schon gar nicht angemessen. Noch ein Wort zu den bereits gelobten Sitzen, die selbstredend Sitzheizung und -kühlung bereit halten, letztere etwas geräuschvoll. Man kennt aus Cabriolets sogenannte Nackenwärmer, die aus den Kopfstützen entsprechend schmeichelnde Luft verströmen. Solch ein System hat DS in den N°8 gesetzt. Das kann an kalten Tagen den Menschen zusätzlich zur Sitzfläche rasch und herrlich erwärmen – zweifelsfrei ein Hauch von Luxus.

Ganz schön üppiges Raumangebot. Der Platz im Fond ist schon wegen seiner Wagenlänge von knapp fünf Metern und eines Radstands von knapp drei Metern in Ordnung, wenn auch nicht gigantisch. Sagen wir mal so: Sofern keine Sitzriesen dort thronen, gibt’s keine Probleme. Aber das abfallende Coupé-Dach fordert logischerweise seinen Tribut – selbst mit dem leicht an Höhe gewinnenden Glasdach kommt es auf die Sitzposition derer an, die  dort hinten untergebracht werden. Die große elektrisch geführte Heckklappe ermöglicht einen wunderbar weiten Kofferraumausschnitt. Mit 620 Liter Stauraum unter der Gepäckabdeckung lässt es sich mehr als gut leben. Aber auch hier gilt die Coupé-Bauart: Arg viel höher als 54 Zentimeter geht es nicht, sonst eckt das Ladegut Richtung Heckabschluss an die Scheibe an. Auf die Idee, eine Waschmaschine im N°8 transportieren zu wollen, kommt sicherlich sowieso niemand.

Lange Reichweite lässt aufhorchen. Leise und mit mächtig Kraftreserven surrt der Wagen auf der hügeligen Testtour durch Ortschaften, auf Landstraßen und über die Autobahn. In der Basisversion FWD gibt’s zwei angetriebene Räder an der Vorderachse mit einer Leistung von 230 PS/169 kW. Die 73,7 kWh-Batterie sorgt unter Idealbedingungen für eine Reichweite von bis zu 550 Kilometer. In der nächsten Stufe FWD Long Range steht ebenfalls ein Fronttriebler bereit, der mit 245 PS/180 kW ausgestattet ist und mittels 97,2 kWh-Batterie für eine längere Reichweite geeignet ist: Mit 750 Kilometer lehnt sich der Hersteller für heutige Verhältnisse sehr weit aus dem Fenster. Ein drittes Modell mit Zusatzbezeichnung AWD Long Range hat dieselbe 97,2 kWh-Batterie an Bord, aber da es samt einer Leistung von 350 PS/257 kW auch noch Allradantrieb vorweisen kann, vermindert sich die größtmögliche Reichweite etwas auf 690 Kilometer.

Wir waren mit der mittleren Version FWD Long Range unterwegs, konnten jedoch die angesagten 750 Kilometer auf der Testtour nicht ausreizen. Seinen WLTP-Normverbrauch von 17,3 kWh verfehlten wir auf der Testrunde mit glatten 18 kWh nur knapp – allerdings war selbst auf dem Autobahnabschnitt wegen zu starken Verkehrsaufkommens eher Richtgeschwindigkeit 130 km/h statt Höchsttempo 190 angesagt. Der Franzose gleitet recht unbeeindruckt von Bodenunebenheiten dahin, wenngleich das sprichwörtliche Sänftengefühl sich nicht einstellen wollte; dazu ist das Fahrwerk einen Tick zu straff ausgelegt. Gewöhnungsbedürftig ist zudem die Bremsenergierückgewinnung, sofern man sie stärker als in Normalstellung justiert. Das kommt dann nämlich gefühlt einer Art Notbremsung gleich, sobald der Gasfuß vom Pedal genommen wird. Das haben wir also gleich wieder auf Normalmaß gestellt – und auch damit ganz schön zusätzliche Energie gebunkert.

Noch ein Wort zur Stromladung. Klar, der Aufenthalt am Schnelllader hört sich erst mal nicht nach Rekord an: In 27 Minuten von 20 auf 80 Prozent, zumal die Angaben verschiedener Hersteller von der Basis ab 10 oder 20 Prozent variieren. Hinzu kommt, dass der DS N°8 gerade mal zu 160 kW Ladeleistung fähig ist. Aber man kann es drehen und wenden wie man will: Abhängig vom jeweiligen Ladenetz und der aktuellen Auslastung im Ladepark sind die Höchstformate sowieso immer nur kurze Phasen innerhalb der üblichen rund 30 Minuten Ladezeit. Von einer allseits gewünschten zehnminütigen Laderei sind wir aufgrund der unterschiedlichen technischen Vorgaben einschließlich einer sinnvollen Batteriepflege immer noch ein Stück entfernt.

Konkurrenzfähige Preise? Es ist stets schwer, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, sprich: Karosserieformen, Abmessungen, Leistungsfähigkeiten, Ausstattungen und nicht zuletzt individuell zugeschriebene Markenwerte – ein Wettbewerberumfeld kann meist bloß mit Kompromissbetrachtungen in Augenschein genommen werden. DS sieht seine N°8-Konkurrenten im Audi Q4 e-tron, BMW i4, Polestar 4 sowie Tesla Model Y. Betrachtet man die Preise bei DS, beginnt der N°8 bei 57.700 Euro, mit längerer Reichweite gelingt der Einstieg bei 63.200 Euro und Allrad gibt’s ab 68.100 Euro. Ein richtiger Ausreißer ist das französische Flaggschiff damit nicht – weder nach oben noch nach unten. Ein Objekt für Schnäppchenjäger möchte es auch gar nicht sein. Was ist es dann? Ein echtes Schmuckstück für Liebhaber des Savoir Vivre.   

Autogramm

DS N°8 FWD Pallas

Typ: Reiselimousine; Preis: 57.700 Euro; Länge: 4,82 Meter; Breite: 1,90 Meter; Höhe: 1,58 Meter; Radstand: 2,90 Meter; Leergewicht: 2132 Kilogramm; Zuladung: 508 Kilogramm; Kofferraum: 620-1553 Liter; Sitze: fünf; Motor: Elektromotor; Leistung: 230PS/169 kW; Drehmoment: 343 Newtonmeter; Spitze: 190 km/h; 0 auf 100 km/h: 7,7 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku; Batteriekapazität: 73,7 Kilowattstunden (kWh); Reichweite (WLTP): 550 Kilometer; Wallbox Wechselstrom 11 kW: 4 Stunden 45 Minuten, Ladestation Gleichstrom 160 kW: 31 Minuten (jeweils 20-80 Prozent), Stromverbrauch (WLTP): 16,5 kWh/100 Kilometer; CO2-Ausstoß: 49,2 Gramm/Kilometer (Strommix Deutschland).


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