


Der Unaussprechliche
Nüchtern betrachtet handelt es sich um ein vollelektrisches Kompakt-SUV, das der japanische Hersteller Honda nicht nur gemeinsam mit Dongfeng aus China entwickelt hat, sondern auch dort bauen lässt.
Von Bernd-Wilfried Kießler
Was ist das für ein Auto? Man kann sich Gedanken darüber machen, wieweit Honda mit seinem Ansehen spielt, das man jahrelang durch pfiffige Klein- und Mittelklasseautos wie Civic und Accord, später auch durch Coupés wie die eben wieder zum Leben erweckte Prelude und heiße Renner wie den NSX pflegte. Auch das Honda-Engagement in der Formel 1 als Motorlieferant und zeitweise mit eigenem Team hoben die Marke von anderen fernöstlichen Herstellern ab. Von dieser großen Vergangenheit ist im hier getesteten E-Auto mit dem unaussprechlichen Namen e:Ny1 (soll angeblich eine seltsame Schreibweise des englischen Wortes anyone, zu Deutsch „irgendjemand“, darstellen) nichts zu spüren.
Beim Anblick der Karosserie käme kaum jemand auf Honda, wäre da nicht an der Bugpartie auf der Ladeklappe ein großes H befestigt. Mit hinter den Scheiben der Fenster versteckten Türgriffen und kaum erkennbaren Fugen soll der Anschein der Zweitürigkeit vorgetäuscht werden. Warum dies flotter wirken soll, liegt wahrscheinlich historisch in der Tatsache begründet, dass einst viertürigen Limousinen zweitürige Coupés zur Seite gestellt wurden – für eine Kundschaft, die sich etwas vom Alltäglichen abheben wollte.
Wie fühlt man sich in diesem Auto? Vorn wird das Bild von einem großen senkrecht stehenden Monitor in der Mitte der Armaturentafel beherrscht. Auf der Mittelkonsole soll schwarzer Klavierlack Hochwertigkeit verbreiten. Hier werden auf Hebeln die Fahrtrichtungen sowie die Handbremse gesteuert. Man nimmt auf dunklem Kunstleder mit zweifarbigen Ziernähten Platz – das blaue Ambiente-Licht kommt mit zunehmender Dunkelheit draußen zur Geltung. Großzügig ist die Beinfreiheit in der zweiten Reihe, was man auch für zwei Drittel der dort Mitfahrenden für die Kopffreiheit sagen kann. Der mittlere Hinterbänklersitzt erhöht wie auf einem Sattel. Zwar ist die Kopfstütze hoch genug, aber wenn sich ein mittelgroßer Erwachsener aufrecht setzt, streift sein Haar den Dachhimmel. Die Geräumigkeit in der Kabine geht ein wenig zu Lasten des Gepäcks. Vor der 73 Zentimeter hohen Ladekante und der von Hand zu öffnenden großen Heckklappe liegen 344 Liter Stauraum – nicht eben üppig für ein 4,38 Meter langes Auto. Klappt man die hinteren Lehnen nach vorn, ergeben sich über der verlängerten ebenen Ladefläche bis unters Dach 1175 Liter Rauminhalt.
Was für einen Antrieb hat das Auto? Der Elektromotor unter der Haube vorn leistet 204 PS/150 kW und bewegt das Auto mit dem seltsamen Namen und seine reichlich 1,7 Tonnen Leergewicht mühelos. Bei E-Autos steht bekanntlich das volle Drehmoment vom Start an zur Verfügung und beschleunigt im vorliegenden Fall mit 310 Newtonmeter flott, ehe bei 160 km/h abgeregelt wird, um die Reichweite nicht allzu sehr zu verkürzen. Deren offizieller Wert von über 400 Kilometer steht nur auf dem Papier. Selbst nach einer Ladung bis auf 100 Prozent und bei sommerlich warmen Temperaturen wurden uns nur etwas über 300 Kilometer vorhergesagt. Im Mischverkehr Stadt, Land- und Schnellstraße durch hügelige Umgebung kann das mit kräftiger Energierückgewinnung auch erreicht werden, nicht aber bei Fahrten auf der Autobahn.
Auf einer Langstreckentestfahrt im tempobegrenzten Nachbarland über 1200 Kilometer musste insgesamt sieben Mal geladen werden – für mehr als 230 Kilometer reichte es nicht bei konstanter Fahrt. Ab 30 Kilometer verbleibender Reichweite beginnt man, nach einer Ladesäule Ausschau zu halten, die beim stromernden Honda so schnell nicht sein darf, wie ihr Name verspricht: 40 Minuten vergingen immer, um von 10 auf 80 Prozent zu kommen. Die höchste Ladeleistung bis zu 78 Kilowatt wird – wenn überhaupt – nur kurzfristig erreicht. Angenehm unterwegs empfanden wir den Fahrkomfort – die Ruhe ist bei E-Autos typbedingt. Aber auch das Fahrwerk war so abgestimmt, dass es Holperstrecken wegbügelte und die Insassen schonte.
Was bietet dieses Auto? An Ausstattung wird in fernöstlichen Automobilen nicht gespart, so auch nicht in diesem stark chinesisch beeinflussten Japaner. Zum Grundpreis von 38.990 Euro – Honda nennt diese Ausstattung Elegance – sind viele heutzutage gängigen Fahrhilfen und Sicherheitssysteme enthalten, auch Dinge wie 18 Zoll große Leichtmetallräder, Nebelscheinwerfer und ein Spurhalte- und Stauassistent, um nur einige zu nennen. Für 3000 Euro mehr kann ein so genanntes Advance-Paket hinzugekauft werden, das unser Testwagen nicht enthielt. Das Glasdach hätte den Innenraum aufgehellt, ein heizbares Lenkrad hätten wir im Sommer nicht gebraucht, eine elektrische Heckklappe würde gymnastische Streckübungen verhindern, eine Rundumkamera wäre vielleicht beim Rangierverkehr hilfreich gewesen, wobei wir nach wie vor große Fensterflächen bevorzugen.
Autogramm
Honda e:Ny1 Elegance
Typ: Kompakt-SUV; Preis: 38.990 Euro; Länge: 4,38 Meter; Breite: 1,79 Meter; Höhe: 1,58 Meter; Radstand: 2,61 Meter; Leergewicht: 1730 Kilogramm; Zuladung: 310 Kilogramm; Kofferraum: 344/1176 Liter; Sitze: 4+1, Antrieb: E-Motor 204 PS/150 kW, Drehmoment: 310 Newtonmeter; Spitze: 160 km/h (abgeregelt); 0 auf 100 km/h: 7,6 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku; Batteriekapazität: 62,8 Kilowattstunden (kWh); Ladeleistung: bis zu 78 kW; Reichweite (WLTP): 412 Kilometer; Reichweite im Test: zwischen 230 und 330 Kilometer; Stromverbrauch (WLTP): 18,2 kWh/100 Kilometer; entsprechender CO2-Ausstoß (deutscher Strommix 2024: 380 g/kWh): 73 Gramm/Kilometer; Testverbrauch: zwischen 17 und 22 kWh/100 Kilometer.


