


Schwedischer Feingeist
Volvo ist entschlossen auf dem Weg der Elektro-Verheißung. Da ist eine Kombination aus Benziner und Elektromotor für viele Einsatzzwecke ein feiner Kompromiss – und sei es nur, um beim XC60 eine lückenlose Reichweite von gut 700 Kilometer absolvieren zu können.
Von Gundel Jacobi
Was ist das für ein Auto? Abgesehen von der Karosserie-Silhouette hilft es manchmal schon, die Preisliste zu überfliegen, um den Wagen in der großen Schar heutiger SUV-Modelle zuzuordnen. Marketingabteilungen sind heutzutage schnell dabei, ihre Produkte mit Premium-Prädikaten zu versehen. Beim XC60 kann man dieser Zuschreibung generell zustimmen, wobei ein Einstiegspreis eines 4,71 Meter langen SUV für 57.390 Euro bei vielen Autokennern schon gar nicht mehr dazu führt, mit den Wimpern zu zucken. Wohlgemerkt: Einstiegspreis – mit einem 250 PS/184 kW starken Zweiliter-Benziner. Wendet man sich der mittlerweile wieder an Beliebtheit zunehmenden Plug-in-Hybrid-Welle zu, beginnt der XC60-Einstieg bei 67.990 Euro und einer Systemleistung aus Otto- und Elektromotor von 350 PS/257 kW. Der stärkste PHEV T8 weist indes 455 PS/335 kW aus und erscheint in der Preisliste ab 78.690 Euro.
In der von uns gefahrenen Ultra Dark-Ausstattung werden ab 83.290 Euro fällig – und bevor wir die Zahlenspielereien verlassen, sei noch darauf hingewiesen, dass man nochmal locker 10.000 Euro draufpacken kann, sofern Leder-Komfortsitze mit Massagefunktion, Bowers & Wilkins-Beschallung, abgedunkelte Seiten- und Heckfenster sowie eine halbelektrische Anhängerkupplung gewünscht werden. Mit anderen Worten: Beim XC60 verschwimmen innerhalb der Preis-Pyramide auf Wunsch stufenweise die Grenzen zwischen Premium und Luxus.
Wie fühlt man sich in dem Auto? Das ist alles ganz geschmeidig angeordnet im schwedischen Kraftprotz unterm chinesischen Geely-Konzerndach. In mittlerer Größe zwischen dem XC40 und XC90 macht er einen vergleichsweise handlichen Eindruck mit richtig viel Platz. Man muss bei schmalen Durchfahrten allerdings die Breite von 1,90 Meter ernst nehmen – und zwar ohne Außenspiegel. Da kann bei einer Tiefgarageneinfahrt genauso wie bei Begegnungsverkehr in voll geparkten Stadtvierteln der eine oder andere Zentimeter durchaus das Zünglein an der kratzfreien Waage sein. Vorne und hinten sind maßgeschneidert gute Sitzwölbungen ein Garant dafür, auch nach acht Stunden Fahrt noch erstaunlich gelenkig anzukommen. Volvo hat in den letzten Jahren immer wieder im Cockpit experimentiert, vor allem auf dem Bildschirm.
Die Kundschaft scheint es zu schätzen, dass eine vernünftige Mischung aus digitalen Wisch-und Tippfunktionen sowie Schaltern zur Verfügung steht. Seltsamerweise sind wir mit der Sprachbedienung ein bisschen unglücklich gewesen – oder die Sprecherin mit uns. Denn sowohl beim Radiosender Einstellen als auch der Adresseingabe im Navi kamen meist Missverständnisse zustande – wenn auch immer mit freundlicher Stimme. Was uns richtig gefallen hat: der kristallklare Automatik-Wählhebel, stilvoll und ergonomisch kaum zu überbieten. Dass man sich in einem Volvo grundsätzlich sicher aufgehoben fühlt, muss wirklich niemanden wundern und ist nicht nur eine Folge der langjährigen Werbung.
Welchen Antrieb hat das Auto? Der XC60 T8 mit seinem verzweigten Motorenimperium ist schon eine Nummer für sich! Da wollen 310 Benzin-Pferde und 145 Elektro-Rösser auf einen Nenner gebracht werden, damit unter Höchstleistung 455 trabende Vierbeiner im Zaum gehalten werden – und das ist wörtlich zu nehmen, da sie ja bei Volvo nicht mehr komplett vom Halfter gelassen werden. Bei Tempo 180 ist Schluss, damit, salopp gesagt, dem Reiter seine Gäule nicht durchgehen können. Sicherheit an oberster Stelle. Unter Umständen könnte man ja auch ein wenig an der Leistungsspirale nach unten drehen, aber daran denkt man offenbar nicht.
Natürlich obliegt es der Entscheidung des Menschen am Steuer, ob man komplett batterieelektrisch, ausschließlich per Ottomotor oder automatisch im hybriden Modus unterwegs sein möchte. Sofern der Akku voll geladen ist, sind laut Volvo rund 80 Kilometer unter Idealbedingungen möglich. Nach einer dreistündigen Ladezeit (dieses Auto ist nicht schnellladefähig!) bei 11 Grad Außentemperatur war die Batterie zu 100 Prozent voll und wurden uns 68 Kilometer elektrische Reichweite vorhergesagt. Wir haben im stadtlastigen Gebiet nur 54 Kilometer rausgekitzelt, bis die Batterie leer war und der Ottomotor ansprang, wobei der eine oder andere Kilometer per Bremsenergierückgewinnung dazugekommen war. Gibt man per Kristallknüppel den Befehl, die Rekuperation zu erhöhen – das kann man ähnlich einer Motorbremse gestalten –, geschieht dies unmittelbar und quasi unter der Maßgabe: volles Rohr, also nur in einer deutlich spürbaren Verzögerung, die bis zum Stillstand führt, falls man mit dem Gaspedal nichts dagegen unternimmt.
Man kann über den Verbrauch bei einem Plug-in-Hybriden vortrefflich sinnieren, da es in der Praxis so viele Fallbeispiele gibt. Machen wir es einfach: Über die gesamte Testzeit hinweg mit erklecklichem Autobahnanteil flossen 8,1 Liter Super, da wir die Batterie nicht ständig alle 100 Kilometer neu geladen haben. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Nur wer häufig Strom tankt und sich nicht mit Autobahntempo fortbewegt, kann den Elektrovorteil voll ausspielen.
Was bietet einem das Auto? Ein ausgewogenes Fahrgefühl! Vielleicht klingt das nicht spektakulär, trifft es aber auf den Punkt. Wenn der Wagen stromernd dahinsurrt, überträgt sich das leichtfüßige Fahren perfekt ohne nennenswerte Geräuschkulisse. Schneller als Tempo 130 schaltet sich übrigens in jedem Fall der Ottomotor hinzu. Aber auch dann wirkt die Lärmdämmung ziemlich umfassend. Das Fahrwerk ist nahezu alles zu schlucken bereit, der Allradantrieb arbeitet bei Bedarf. Wer Freude hat am schnellen Spurt, kann den im Leerzustand knapp 2,2 Tonnen wiegenden Wagen mühelos vorantreiben. Selbstverständlich schaltet die Achtstufen-Automatik beinahe unmerklich, und die erhöhte Sitzposition erlaubt einen achtsamen Blick übers Verkehrsgeschehen. Und doch: Auch wenn der XC60 weit davon entfernt ist, ein nervöses Rennpferd zu sein – gerade im Stadtverkehr gibt es ab und an Momente, wenn er beinahe schon im Auslaufen einen klitzekleinen Hüpfer nach vorn zu machen ansetzt. Hat man das Gaspedal dann doch minimal bewegt oder ist sich die Elektronik doch nicht ganz einig, welchem Motor sie den aktuellen Antrieb anvertraut? Unser Urteil ist eindeutig: Der XC60 PHEV ist ein Feingeist.
Autogramm
Volvo XC60 PHEV T8 AWD Ultra Dark
Typ: SUV; Preis: 83.290 Euro; Länge: 4,71 Meter; Breite: 1,90 Meter; Höhe: 1,66 Meter; Radstand: 2,87 Meter; Leergewicht: 2150 Kilogramm; Zuladung: 510 Kilogramm; Kofferraum: 468-1528 Liter; Sitze: fünf; Tankinhalt: 71 Liter; Motor: Otto-Vierzylinder; Hubraum: 1969 Kubikzentimeter; Leistung: 310 PS/228 kW bei 6000 U/min; Drehmoment: 400 Newtonmeter bei 3000 U/min; Elektromotor: 145 PS/107 kW; Systemleistung: 455 PS/335 kW; Getriebe: Achtstufen-Automatik; Spitze: 180 km/h; 0 auf 100 km/h: 4,9 Sekunden; elektrische Reichweite: 87 Kilometer; WLTP-Normverbrauch bei vollem Akku: 1,1 Liter Super, Stromverbrauch: 19,1 kWh/100 km; CO2-Ausstoß: 25 Gramm/km; WLTP-Normverbrauch mit leerem Akku: 8,2 Liter Super; CO2-Ausstoß: 185 Gramm/km; Testverbrauch: 8,1 Liter; Testverbrauch mit leerer Batterie: 8,5 Liter.



