Zeitenwende: Vollelektrisch in die Zukunft?

Neu auf der Straße: Rolls-Royce Spectre

Von Paul-Janosch Ersing

In einer idealen Welt würde der Spectre in der Statistik des Kraftfahrtbundesamt für die ersten elf Monate des sich zu Ende neigenden Jahres auf mehr als 79 Neuzulassungen kommen. In einer idealen Welt könnte sich jeder Mensch einen elektrischen Rolls-Royce für mindestens 380.000 Euro leisten – und alle offenen Fragen zu den Themen klimafreundliche Stromerzeugung und sinnvolle Ladeinfrastruktur wären bereits beantwortet.

Aber wir leben in Zeiten des Umbruchs; der Wechsel auf die E-Mobilität ruckelt und zuckelt. Bei Elektroautos unterhalb der 20.000-Euro-Marke kann man sich gerade mal zwischen zwei Modellen entscheiden, und auch am obersten Ende der Preisskala ist die Auswahl nicht groß. Die englische Traditionsmarke Rolls-Royce, seit dem Jahr 2000 Teil der BMW-Gruppe, hat sich vergleichsweise früh auf den Pfad der Elektromobilität begeben und möchte nach 2030 ausschließlich neue Modelle ohne Verbrennungsmotor auf den Markt bringen.

Vom Gralshüter des Zwölfzylinders ist das mal eine Ansage. Eine Ära endet und eine neue beginnt, wobei sich die Frage stellt: Wie gut passen Elektromobilität und Superluxus zusammen? Um die Antwort vorweg zu nehmen: erstaunlich gut.

Das liegt vor allem daran, dass der Spectre die typischen Vorurteile eines Elektrofahrzeugs mit Bravour bestätigt: Die gefühlte Reichweite könnte größer sein, der Preis ist jenseits von Gut und Böse, und es ist gespenstisch leise an Bord.

Wer sich einen Rolls-Royce zulegt, erwartet absolute Stille an Bord. Um diesen Zustand zu erreichen, haben die Ingenieure bisher alles versucht, aus ihren Benzinmotoren mit acht oder zwölf Zylindern die bestmögliche Laufruhe herauszuholen – um jetzt erkennen zu müssen, dass es mit einem Elektromotor noch besser klappt. Auf unseren Testfahrten erlebten wir jedenfalls die formvollendete Abwesenheit von Geräuschen.

Die beiden E-Maschinen an Vorder- und Hinterachse leisten zusammen 584 PS/430 kW – also 40 PS mehr als im BMW i7, mit dem der Spectre unterm Blech deutlich mehr als eine Handvoll Gleichteile hat. An der Schnellladesäule füllt der Brite seinen 700 Kilogramm schweren 102-kWh-Akku mit bis zu 195 kW Ladeleistung. Aber seien wir ehrlich: Sowohl Ladezeiten als auch Reichweite (WLTP: 530 Kilometer) oder Verbrauch (22,2-23,5 kWh/100 km) spielen für Spectre-Eigentümer nur eine Nebenrolle. Denn zum einen wird in der Garage noch der ein oder andere Wagen mit Verbrennungsmotor stehen, und zum anderen schafft der Spectre die Strecke bis zum nächsten Heli-Port oder Flughafen allemal.

Vom oben genannten Einstiegspreis hat sich unser Testwagen elegant distanziert; das Ausstattungsblatt nennt 559.000 Euro. Den Glanzpunkt edler Extras setzen neben der automatisch versenkbaren Kühlerfigur namens Spirit of Ectasy und den Fußmatten aus Lammwolle zweifelsohne der lederbezogene Dachhimmel mit unzähligen winzigen LED-Sternen und von Zeit zu Zeit über das künstliche Firmament hinweg sausende Sternschnuppen.

Bis hierher gelesen? – Dann empfehlen wir noch die thematisch passende Podcastfolge Nr. 277:


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