


Er lässt es stumm krachen
Alltagstest: Der Polestar 3 steht auf der gleichen Plattform wie sein Volvo-Verwandter EX90. Mit ein paar Abstrichen zieht der Stromer im oberen Preissegment seine leistungsstarken Runden.
Von Gundel Jacobi
Was ist das für ein Auto? Mächtig steht er da in seiner schieren Größe. Neben der Limousine Polestar 2 sowie dem neuen SUV-Coupé Polestar 4 hat sich ein drittes Modell der Volvo-Luxustochter unter chinesischer Geely-Führung hinzugesellt: Der Polestar 3 gibt sich auf den ersten Blick mit einer Höhe von 1,61 Meter als klassisches SUV zu erkennen, nähert sich mit seiner Breite der Zwei-Meter-Marke. Mit 4,90 Metern ist er das längste Fahrzeug der Elektro-Marke, zudem der derzeit leistungsstärkste Polestar („Polarstern“), was sich auch in hohen Preisen niederschlägt.
Wie fühlt man sich in dem Auto? Obwohl das Panoramaglasdach für viel Wohlgefühl sorgt, sind wir so richtig heimisch in diesem 3er nicht geworden. Dabei verkörpert nach dem Einsteigen zunächst die erhöhte Sitzposition den allseits so beliebten SUV-typischen Blickwinkel. Wirklich übersichtlich geht es von drinnen aber nicht zu – zumindest nicht nach schräg rechts hinten, wenn man manövrieren oder an einer Abbiegung Radfahrer beachten muss. Das gleicht wegen verdunkelter Seitenscheiben und einer fetten hinteren Dachsäule einem kompletten Blindflug; da hilft auch der Hinweis auf die Rückfahrkamera nicht.
Polestar bewegt sich mit jedem neuen Modell näher ans Schalter-reduzierte Fahren heran: Die meisten Funktionen bis hin zu Spiegel- und Lenkrad-Einstellung sind über den berührungsempfindlichen Bildschirm zu dirigieren – sogar das Handschuhfach ist einzig über einen Druckpunkt auf dem großen Monitor zu öffnen. Keine Ahnung, wem das in der Praxis wirklich Vergnügen bereitet. Immerhin lassen sich einige Funktionen über höchst berührungsempfindliche klitzekleine Flächen am Lenkrad dirigieren. Allerdings muss man sich da durchprobieren, denn Beschriftung gibt es keine. Der auf der Mittelkonsole einzig befindliche Dreh-Drückschalter ist nicht das Steuerungselement fürs Getriebe – selbiges ist idealerweise direkt über einen Hebel am Lenkrad zu bedienen –, sondern damit kann man die Audioanlage zu Gehör bringen.
Im Fond ist viel Platz für zwei Personen: der Mittelplatz ist eher ein schmaler Notsitz, als würde man nicht annehmen, dass dort jemals noch einen dritter Passagier unterzubringen wäre. Der Kofferraum ist eben zu beladen und nimmt ordentlich Transportgut auf, sofern man seine Ladung über die 78 Zentimeter hohe Kante gewuchtet hat. Nach Umklappen der Rückenlehnen in der zweiten Reihe entsteht eine nur ganz leicht ansteigende Fläche.
Welchen Antrieb hat das Auto? Da lässt es Polestar mit fast fünf Hundertschaften aufgezäumter Pferde schier unanständig krachen – natürlich flüsterleise. Somit fällt das Leergewicht von rund 2,7 Tonnen kaum auf, bei Bedarf bricht der Polestar 3 ungerührt aus dem Stand los. Es empfiehlt sich, stets dem Tacho ein Auge zu widmen, denn aufgrund von 840 Newtonmetern Drehmoment und dem elektrotypisch ausbleibenden Motorgeräusch merkt man gar nicht, wie schnell das Gefährt aus dem Schritt übern Trab in den Galopp geraten kann. In diesem Fall ist der an sich nervige Ton des Tempoüberschreitungswarners gar nicht so schlecht. Damit das fahrende Muskelpaket im Zaum gehalten, also nicht zu ungehörig an einer Achse gezerrt und ein stetiges Sicherheitsplus vermittelt wird, ist der Polestar 3 mit seinem so genannten Long Range Dual Motor als Allradler unterwegs. In der Basisversion mit 300 Pferdchen bewegt sich der Long Range Single Motor-Polestar 3 als Hecktriebler.
Ein eindeutiger Leckerbissen steckt in der anpassungsfähigen Luftfederung. Niemals tritt damit eine schaukelnde Sänfte in Erscheinung. Das wäre sowieso unangebracht, aber man kann die Komfortauslegung auf Wunsch noch spürbar straffer einstellen. Wer mit einem Elektro-Zugfahrzeug liebäugelt, könnte beim Polestar schwach werden, denn mit einer Anhängelast von 2200 Kilogramm spielt er in der oberen Liga mit.
Was sagt das Ladeprotokoll? Zaubern kann auch Polestar nicht. Zwar ist die 111- kWh-Batteriekapazität eine Nummer, aber von der theoretisch möglichen Reichweite von über 600 Kilometern ist man in der Praxis meilenweit entfernt. Bei niedrigen Temperaturen im einstelligen Plus-Bereich spuckte der Bordcomputer auch nach 100 Prozent Ladung nicht mehr als 400 Kilometer aus. Immerhin lagen wir in Fahrt nicht weit vom Normverbrauch entfernt: Testdurchschnitt: 22,5 kWh. Wir haben den Elektriker echt nicht gejagt, denn dazu waren wir viel zu faul, als dass wir allzu häufige Ladestopps hätten einlegen wollen.
Was bietet einem das Auto? Nach unserer Testphase können wir feststellen, dass man mit dem Polestar 3 für unverhohlene Beachtung sorgt im riesigen SUV-Einerlei. Köpfe haben sich regelmäßig gedreht, Augenpaare sind mit fragendem Blick aufs weitgehend unbekannte Markenzeichen gerichtet gewesen. Vernetzung, umfassende Assistenz samt weitgehender Aufmerksamkeits-Überwachung findet automatisch statt, aber man kann auch einiges abschalten. Preislich lässt der Polestar 3 keinen Zweifel daran, wohin er gehört: in luxuriöse Höhen. Die oben erwähnte Einstiegsmotorisierung mit Heckantrieb beginnt preislich bei 74.590 Euro. Bestellt man den von uns getesteten stärkeren Allradler, werden mindestens 81.590 Euro fällig.
Autogramm
Polestar 3 Long Range Dual Motor
Typ: Luxus-SUV; Preis: 81.590 Euro; Länge: 4,90 Meter; Breite: 1,97 Meter; Höhe: 1,61 Meter; Radstand: 2,99 Meter; Leergewicht: 2660 Kilogramm; Zuladung: 390 Kilogramm; Kofferraum: 484-1411 Liter; Sitze: fünf; Motor: Elektromotor, Permanentmagneterregte Synchronmaschine; Leistung: 489PS/360 kW; Drehmoment: 840 Newtonmeter; Spitze: 210 km/h; 0 auf 100 km/h: 5,0 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Ionen-Akku; Batteriekapazität: 111 Kilowattstunden (kWh); Reichweite (WLTP): 632 Kilometer; Wallbox Wechselstrom 11 kW: 11 Stunden, Ladestation Gleichstrom 50 kW: 30 Minuten (80 Prozent), Stromverbrauch: 21,8 kWh/100 Kilometer; CO2-Ausstoß: 83 Gramm/Kilometer (Strommix Deutschland); Testverbrauch: 22,5 kWh.

