


Von altem Schrot und neuem Korn
Leiterrahmen, hintere Starrachse, Differenzialsperre – angetrieben von einem bulligen Dieselmotor. Wir prüften, wie man mit einem Auto, das nach gestern klingt, im heutigen Verkehr zurechtkommt.
Von Gundel Jacobi
Was ist das für ein Auto? Die Zahl der echten Geländewühler, denen ein Leiterrahmen Stabilität verleiht, ist beinahe an einer Hand abzuzählen: Ford Bronco (nur in Einzelstücken nach Deutschland geliefert), Ineos Grenadier (immer noch weitgehend unbekannt), GWM Rexton (hat eben den ursprünglichen Markennamen Ssangyong gewechselt), Mercedes G-Klasse (mit 124.355 Euro Einstiegspreis für Normalverbraucher unerschwinglich) – bleiben das Jeep-Urgestein Wrangler und der Toyota Land Cruiser, seit letztem Jahr in ungefähr 14. Generation auf dem Markt – eine weltweite Erfolgsgeschichte, die nach dem 2. Weltkrieg mit militärischem Hintergrund begann. Aber nun halten wir uns nicht weiter mit der Vergangenheit auf: Der Land Cruiser, so viel sei hier wenig überraschend verraten, ist weiterhin kein weichgespülter Möchte-gern-Abenteurer, sondern jederzeit und vollumfänglich für Touren abseits befestigter Straßen bereit. Aber auch Stadtindianer kann er kaum aus der Ruhe bringen. Man muss nur wissen, worauf man sich einlässt, denn seine Länge von 4,93 Meter und knapp zwei Meter Breite erfordern ab und an etwas Manövriergeschick und innere Ruhe.
Wie fühlt man sich in diesem Auto? Über zwei Stufen und sowohl auf der Fahrer- und Beifahrerseite mit seitlichem sowie einem am Dach montierten Griff hangelt man sich recht komfortabel ins Cockpit. Eine Flut von Schaltern, Druck- und Drehknöpfen erfordern ein gewisses Zurechtfinden – bis hin zu den drei Fahrprogrammen Normal, Eco und Sport; wobei das Wort Sport beim Land Cruiser einfach ein Lächeln hervorruft. Aber klar, auch wer dem Wagen auf Reisen die Sporen gibt, möchte vielleicht nicht nur dahintraben, sondern auch mal das Ansprechverhalten des Gaspedals herausfordern. Wir haben das nicht exzessiv betrieben, da wir den Verbrauch im Zaum halten wollten. Auf jeden Fall sitzt man von der ersten Minute an gut eingepasst zwischen Tür, Infozentrale entlang der Armaturentafel und breiter Mittelkonsole, die vor allem mit einem sehr gut greifbaren Automatik-Wählhebel Eindruck macht. Schweift der Blick weiter nach vorne, vermittelt die hoch aufragende Motorhaube jenes Zutrauen, das nur kantige Geländekumpel in ihren Genen haben. In der zweiten Reihe thronen die Passagiere ebenfalls hoch droben und können sich weder über mangelnde Bein- noch Kopffreiheit beklagen. Sofern die zwei Einzelsitze in der dritten Reihe benötigt werden, kann man sie ohne Muskelkraft per Knopfdruck vom Kofferraum aus auferstehen lassen. Allerdings erfordert es ein gewisses akrobatisches Geschick, über die zusammengefalteten Außensitze der Reihe zwei nach ganz hinten zu turnen – und Langbeiner sollten dort dann auch nicht sitzen müssen. Mit anderen Worten: Sie sind kindertauglich. Bei voller Besetzung gibt’s logischerweise nur ein schmales 130-Liter-Gepäckfach. Dieses wächst stufenweise bis auf 1,9 Kubikmeter, wenn alles umgeklappt ist, also keine weiteren Passagiere außer dem Fahrer drin sind.
Welchen Antrieb hat das Auto? Zweieinhalb Tonnen Leergewicht wollen in Bewegung gebracht werden – und da unser Testwagen keinen surrenden Elektromotor an Bord hatte, fuhr er auch nicht wie von Geisterhand auf Schienen gezogen flott voran. Im Gegenteil: Der 2,8-Liter-Dieselmotor machte keinen Hehl aus seiner Bemühung, mit immerhin 204 Pferden und entsprechendem Getrappel das Fahrzeug voranzutreiben. Der Vergleich mit dem Kapitän auf einer Schiffsbrücke ist ein passendes Bild für den Menschen am Steuer dieses in die Jahrzehnte gekommenen und gerade deshalb so liebgewonnenen Dickschiffs. Denn auch wenn die vorbildlich schaltende Achtstufen-Automatik zur Kraftübertragung ganze Arbeit leistet und sowohl im Niederlastbetrieb als auch bei zehrender Beschleunigung keine unangenehmen Ruckeleien überträgt: Man hat stets das Gefühl, dass die grollenden Kräfte das Gefährt wie ein tuckerndes Schiff auf dem Wasser in muskulöse Schwingungen versetzen. Damit keine falschen Mutmaßungen entstehen – das passt wunderbar zum japanischen Land Cruiser!
Welche Fähigkeiten hat das Auto? Seine unmissverständlichen Möglichkeiten fächern sich neben Leiterrahmen, Differenzialsperre, hinterer Starrachse, vorderer Einzelradaufhängung und Reduktionsgetriebe in folgende Zutaten auf: 22 Zentimeter Bodenfreiheit, 70 Zentimeter Wattiefe, 42 Grad Steigwinkel. Das alles wird garniert durch zahlreiche elektronische Helfer – bis hin zur Unterbodenkamera: eben ein Allrad-Tausendsassa. Ob man ihn für Gartenarbeiten oder auf Weltumrundungen benötigt, ob er als Transporter für sieben Personen eingesetzt wird oder als Zugfahrzeug Boote schleppen soll – die Bandbreite für seine Einsätze ist enorm. Seine Anhängelast wird mit 3,5 Tonnen angegeben. Aber Achtung: Wer sie ausnutzen will, kommt mit einem aktuellen Pkw-Führerschein der Klasse B nicht aus. Denn er oder sie dürfen nur Fahrzeuge bis zu 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht fahren. Man braucht in solchen Fällen die Klasse BE oder eine alte Fahrerlaubnis der Klasse 3. Nicht zuletzt als Reisewagen auf zivilisierten Asphaltpisten kann der Land Cruiser viele Kilometer runterschrubben, ohne allzu viele Tankstopps einzulegen. Zumindest während unserer Testtouren sind wir mit einer Tankung dieseltypisch gut 700 Kilometer weit gekommen.
Welchen Preis hat dieses Auto? Man sieht es dem Japaner an: Der umfassende Einsatzwille hat seinen Preis. Es geht in der Basis los ab 67.990 Euro und schraubt sich dann in vier weiteren Ausstattungen hoch auf 91.490 Euro. Unsere getestete TEC-Edition steht ab 86.490 Euro in der Preisliste und hat unter anderem serienmäßig an Bord: elektrische Differenzialsperre, entkoppelbarer vorderer Stabilisator, JBL-Audioanlage mit 14 Lautsprechern, Ledersitze, Klimaautomatik, Querverkehrswarner vorn, Rückfahrkamera und 20-Zoll-Reifen. Die zwei Einzelsitze in der dritten Reihe schlagen mit 1800 Euro zu Buche.
Autogramm
Toyota Land Cruiser 2.8 D-4D 4×4 TEC-Edition
Typ: Geländewagen; Preis: 86.490 Euro; Länge: 4,93 Meter; Breite: 1,98 Meter; Höhe: 1,94 Meter; Radstand: 2,85 Meter; Leergewicht: 2445 Kilogramm; Zuladung: 705 Kilogramm; Kofferraum: 130-1934 Liter; Sitze: sieben; Anhängelast: 3,5 Tonnen; Tankinhalt: 80 Liter; Motor: Vierzylinder-Dieselmotor; Hubraum: 2755 Kubikzentimeter; Leistung: 205 PS/151 kW bei 3000 – 3400 U/min; Drehmoment: 500 Newtonmeter bei 1600-2800 U/min; Getriebe: Achtstufen-Automatik; Spitze: 170 km/h; 0 auf 100 km/h: 12,7 Sekunden; Normverbrauch (WLTP): 10,3 Liter Diesel; CO2-Ausstoß: 272 Gramm pro Kilometer; Testverbrauch: 9,6 Liter.


