Von Paul-Janosch Ersing

Von Materialien und Formen

In Mailand hat sich die frühere Möbel-Woche zu einem Treffpunkt für Interieur, Mode und Automobile entwickelt. Ein Lokalmatador trumpft groß auf: Alcantara.

Welcher Auto-Boss hält in diesem Jahr die Keynote genannte programmatische Rede? Natürlich nicht im dunklen Anzug – und mindestens ohne Krawatte? Diese Fragen sind knapp 15 Jahre alt und wurden jeweils Anfang Januar auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas beantwortet. Damals gehörte es zum guten Ton, als Autohersteller Präsenz zu zeigen in der Mojave-Wüste des US-Bundesstaates Nevada. Kaum eine andere fachfremde Messe wurde derart konsequent mit Auto-Themen bespielt wie die Consumer Electronics Show.

Der Genfer Autosalon schläft einen Dornröschenschlaf, und die früheren Leitmessen in Paris und München – früher Frankfurt – haben an Bedeutung verloren. Aber die Autofirmen haben ein neues Schaufenster entdeckt, sich zu präsentieren: die Milan Design Week, die in diesem Jahr Mitte April über die Bühne ging. In der norditalienischen Metropole trifft sich nicht nur zwei Mal im Jahr die Modebranche, sondern ein Mal im Jahr auch das Who-is-who aus Kunst und Design. Was im Jahr 1961 als Möbelmesse begann, lockte dieses Jahr mehr als 300.000 Gäste aus aller Welt nach Mailand.

Stelldichein der Autoriesen: Audi, BYD, Cupra, Kia, Lexus, Skoda, Smart und Zeekr – bereits diese unvollständige Reihe an Ausstellern bildet beinahe das gesamte automobile Alphabet ab. Karosserie- und Innenraumdesign spielten fast überall die Hauptrolle bei den Präsentationen.

Den Bogen von der Mode- in die Autowelt und wieder zurück spannte allerdings kaum ein Unternehmen so elegant und glaubwürdig wie der Mailänder Platzhirsch Alcantara. Als hochwertige Alternative für tierisches Leder ziert das angenehm anzufassende Material zahlreiche Innenräume sportlicher und luxuriöser Autos. Der Flies-Stoff aus Kunstfasern wirkt und fühlt sich so ähnlich an wie Velourleder, ist aber leichter. „Wir machen etwa 75 bis 80 Prozent unseres Geschäfts im Automobilsektor“, erklärt Alcantara-Chef Eugenio Lolli am Rande der Milan Design Week. Der Rest entfalle größtenteils auf die hier in Mailand im Blickpunkt stehenden Bereiche Mode und Innenausstattung. Hinzu kommen kleinere Anwendungsfälle in der Unterhaltungselektronik (zum Beispiel Microsoft Surface, Motorola Razr Ultra) sowie in der Schiff- und Luftfahrt (etwa Singapore Airlines, regionale Business Class).

Dallara Stradale: Einem gemeinsamen Abendessen der Führungsriegen von Alcantara und Dallara im vergangenen September ist es zu verdanken, dass der Supersportwagen-Entwickler Dallara sein neuestes Modell namens Stradale mit Alcantara auskleidet. Wo in früheren Modellen noch Kunstleder zu finden war, kann nun das gleichsam weiche wie robuste Material befühlt werden. Als Gründe für den Einzug von Alcantara in den Dallara werden die gute Griffigkeit, die Atmungsaktivität, das geringe Gewicht sowie die emotionale Komponente der Oberflächenstruktur ins Feld geführt.

Auch bei Ferrari setzt man seit einigen Jahren voll auf Alcantara: Im SUV mit dem wohlklingenden Namen Purosangue sollen bei bestimmten Ausstattungsvarianten bis zu 11 Quadratmeter des Werkstoffs untergebracht worden sein. Dass nicht nur teure Supersportwagen mit Alcantara ausgekleidet werden, zeigt ein Blick in die Preislisten von Opel: Bereits beim Kleinwagen Corsa findet sich die Möglichkeit, einige Flächen mit dem synthetischen Handschmeichler beziehen zu lassen.


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