


Preisbrecher mit fernöstlichen Eigenarten
Der B10 hat es in sich – vor allem, was seinen Einstiegspreis betrifft: Mit 29.900 Euro mischt er definitiv die batterieelektrische Riege unter den Kompakt-SUV auf. Zudem hat der chinesische Hersteller Leapmotor unter dem Dach des Stellantis-Konzerns ein bundesweit gut aufgestelltes Händlernetz im heutzutage üblichen Mehrmarkensystem.
Von Gundel Jacobi
Sticht äußerlich nicht aus der Masse. Er sieht aus wie viele andere Kompakt-SUV, die vor allem eine glattgebügelte Karosserie aufweisen – mit zusammengekniffenen Leuchtgruppen vorne wie hinten. Auch eine Lichtleiste zwischen den Scheinwerfern ist mittlerweile keine Besonderheit mehr. Fast ist man gewillt, von einem gesichtslosen Design zu sprechen. Selbiges ist aber bekanntermaßen Geschmackssache, und es gibt eine zahlenmäßig gar nicht so kleine Kundschaft, die ein unauffälliges Auftreten durchaus schätzt. Erwartungsgemäß lässt sich der Wagen per Mobiltelefon öffnen, das den digitalen Schlüssel verkörpert. Die Türgriffe bleiben leider in ihrer eingefahrenen Position, sodass man sie von Hand ein bisschen herauspuhlen muss. Aber klar, daran erkennt man auch, dass der B10 nicht in die Premiumklasse gehört.
Erstaunliche Vielfalt auf dem Bildschirm. Im Inneren gibt’s durchaus mehr Licht als Schatten, was man wegen des langgezogenen Panoramaglasdachs sogar wörtlich nehmen kann. Man nimmt auf bequemem Gestühl Platz, das elektrisch gewärmt und gekühlt werden kann, allerdings in Fahrt mehr Seitenhalt bieten könnte. Die Armaturentafel ist maximal aufgeräumt – ohne jeglichen Schnickschnack und komplett schalterfrei. Ein kleiner Bildschirm hinterm Steuer zeigt die üblichen Rundinstrument-Informationen, als Hingucker entpuppt sich der 14,6 Zoll große Monitor in der Armaturentafelmitte. Da muss man sich schon etwas hineinfuchsen, aber wenn alle Möglichkeiten zum Wischen und Tippen erfasst wurden, eröffnet sich eine erstaunliche Vielfalt von Anordnungen der Kacheln nach individuellen Vorlieben. Ein großes Staufach zwischen Fahrer und Beifahrer nimmt Krimskrams auf, darüber thronen zwei Ladeschalen für Handys. Ein Stockwerk tiefer gibt’s noch zwei Becherhalter, damit hat es sich dann aber beinahe mit Ablageflächen. Entlang der auffallend nüchtern gezeichneten Armaturentafel haben es die Gestalter versäumt, Vertiefungen zum Ablegen einzupassen. Einzig eine schmale Leiste nimmt hoch- oder querkant eine Armada von Handys auf, was aber wenig Sinn macht, da ja die Ladeschalen vorhanden sind.
Die zweite Reihe ist eine echte Offenbarung mit gutem Raumgefühl für Köpfe und Beine sowie freiem Blick nach oben. Ganz hinten nimmt der Kofferraum unter der Abdeckung 420 Liter Gepäck auf, flache Gegenstände finden unterm Ladeboden noch ein Plätzchen. Das Ladekabel verstaut man wohl eher vorne unter der Haube in einem 25 Liter großen Frunk. Übrigens haben während der Fahrvorstellung auch die phantasievollsten Naturen nicht den Knopf zum Öffnen der Kofferraumklappe gefunden, der geheimniskrämerisch auf der dunklen Heckleiste rechtsseitig eingepasst wurde.
Fahrprogrammvielfalt mit Hürden. Kaum verwunderlich, dass der B10 ohne Startknopf bereit ist. Die Fahrstufe wird direkt am Steuer über einen etwas altmodisch wirkenden, aber griffgünstig angebrachten Hebel eingelegt. Vorher muss man aber noch mühsam die Spiegel einstellen, wozu ein Herumfummeln auf dem Bildschirm und danach das Justieren per Steuerungstasten auf dem Lenkrad nötig ist. Am besten vergewissert man sich gleich noch für den Fall der Fälle, dass der Warnblinkschalter im Dach sitzt. Schließlich surrt der Hecktriebler flüsterleise los und kann über drei Fahrprogramme zu gemütlicherer oder zubeißender Gas- und Lenkbefehl-Annahme beeinflusst werden. Auch die Energierückgewinnung ist in drei Stärken anwählbar – noch gibt es keine One-Pedal-Rekuperation, also bis zum Stillstand. Aber sie soll nächstes Jahr per Software eingespielt werden. Etwas früher findet laut Leapmotor die Apple- und Android-Anbindung den Weg ins Fahrzeug. Bei aller ausgeklügelten Bedienungslogik gerät unterwegs eine wesentliche Schwachstelle deutlich in den Blickpunkt, womit Leapmotor allerdings nicht allein dasteht: Den Wechsel von Fahrprogrammen und Rekuperationsstufen muss man am Bildschirm anwählen. Das lenkt jedes Mal ziemlich ab – und wäre mit Direktschaltern intuitiv sicherer zu managen. Mutmaßlich würde dies bestimmt zu einem häufigeren, da unkomplizierteren Nützen dieser gut funktionierenden Programmunterschiede führen.
Annäherung an den Normverbrauch. Eine lange Strecke über Berg und Tal und ohne an der Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h auch nur zu kratzen, zeigt das gutmütige Fahrverhalten des stromernden Leisetreters – Bodenunebenheiten schluckt er entspannt weg. Mit 218 PS/160 kW und einem Drehmoment von 240 Newtonmeter gehört das Kompakt-SUV nach heutigen Maßstäben zu den unauffällig motorisierten Elektrikern. Am Ende weist der Bordcomputer einen Testverbrauch von 15,5 kWh aus, womit wir klar unterm WLTP-Normverbrauch von rund 17 kWh liegen. Somit wäre unter milden Außentemperaturbedingungen und mit gemäßigtem Gasfuß mit dem größeren 67,1-kWh-Akku eine Reichweite zwischen 300 und 400 Kilometern realistisch. In seiner 168-kW-Schnellladefähigkeit liegt der B10 auf der Höhe der Zeit: von 30 bis 80 Prozent in 20 Minuten. AC-Laden mit 22 kW absolviert er von null auf 100 Prozent binnen acht Stunden. Apropos Laden: Hier hat Leapmotor mit den Planungsmöglichkeiten alles richtig gemacht – und das ist unter den Herstellern nicht die Regel: Man kann sich nämlich beispielsweise von München nach Hamburg passende Ladestopps angeben lassen, sodass möglichst wenige Stationen angefahren werden müssen. Dann rollt man mit jeweils nur wenig übriger Stromladung an die Säule oder kann als vorsichtige Fahrerin mit schwächeren Nerven individuell einstellen, mit wieviel Reststrom man an die jeweiligen Ladepunkte andocken möchte.
Zweistufiger heißer Preis. Mit einem verblüffend attraktiven Einstiegspreis von 29.900 Euro weist der stromernde Leapmotor B10 seine derzeitigen vollelektrischen Kompakt-SUV-Wettbewerber vom Platz. Denn deren Preise liegen zum Teil weit jenseits der 30.000 Euro. Natürlich gilt der lockende 29.900 Euro-Basispreis für die B10-Batterieausführung mit 56,1 kWh. Der Hersteller gibt deren Reichweite mit 361 Kilometer an, wohlgemerkt: unter Idealbedingungen. Der nächste Sprung zu 434 Kilometer Reichweite kann mit dem 67,1 kWh-Akku angepeilt werden – ab 32.400 Euro. In jedem Fall beginnt eine recht umfangreiche Ausstattung bereits beim Einstiegsmodell, unter anderem mit Bluetooth-Schlüssel, Panoramaglasdach, 360-Grad-Kamera, Klimaautomatik samt beheiz- und belüftbarer Vordersitze, elektrischer Heckklappe sowie allen gängigen Fahrassistenzsystemen.
Autogramm
Leapmotor B10 Pro
Typ: Kompakt-SUV; Preis: 29.900 Euro; Länge: 4,52 Meter; Breite: 1,89 Meter; Höhe: 1,66 Meter; Radstand: 2,74 Meter; Leergewicht: 1780 Kilogramm; Zuladung: 435 Kilogramm; Kofferraum: 420-1300 Liter; Sitze: fünf; Motor: Elektromotor, Permanentmagneterregte Synchronmaschine; Leistung: 218PS/160 kW; Drehmoment: 240 Newtonmeter; Spitze: 170 km/h; 0 auf 100 km/h: 8,0 Sekunden; Batterietyp: Lithium-Eisenphosphat-Akku (LFP); Batteriekapazität: 56,2 Kilowattstunden (kWh); Reichweite: 361 Kilometer; Wallbox Wechselstrom 11 kW: 6 Stunden 45 Minuten (0-100 Prozent), Ladestation Gleichstrom 168 kW: 20 Minuten (30-80 Prozent), Stromverbrauch: 17,2 kWh/100 Kilometer; CO2-Ausstoß: 51 Gramm/Kilometer (Strommix Deutschland).


