Perfekte Mischung aus Range Rover und Unimog
Im Alltagstest: Seine Ähnlichkeit mit der vorigen Generation des Land Rover Defender ist verblüffend: Der Grenadier des jungen britischen Fahrzeugherstellers Ineos Automotive ist ein Geländewühler der alten Schule – mit neuen Genen.
Von Gundel Jacobi
Wer steckt hinter dem Geländeriesen? Sir Jim Ratcliffe ist nicht nur der Boss eines weitverzweigten Chemie-Konzerns mit Sitz in London, er mischt unter anderem auf professioneller Ebene in namhaften Fußballvereinen, Segel- und Radsportveranstaltungen sowie der Formel 1 mit. Obendrein ist er ein begeisterter Abenteurer, dem im letzten Jahrzehnt immer häufiger die kompromisslos knackigen Allradmodelle vom weltweiten Markt zu verschwinden drohten. Angeblich kam er deshalb in seinem Londoner Lieblingspub namens The Grenadier auf die Idee, unter seinem Ineos-Dach ein solches Gefährt auf die Räder stellen zu lassen – in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Entwicklungsspezialisten Magna Steyr.
Für wen wurde das Fahrzeug geschaffen? Für alle, die keinen Eindruck mit einem 4×4-Kuscheltier auf dem Asphalt vor Prunkbauten und Kindergärten machen wollen, sondern einen vollumfänglichen Geländekumpel für harte Arbeits- und Abenteuereinsätze brauchen – möglichst mit Manneskraft und selbstbestimmt zuschaltbaren Helfern abseits zivilisierter Pisten zu steuern. Im Prinzip trieb Ratcliffe die Sehnsucht, zurück zu den Wurzeln fahrbarer Ingenieurskunst im Gelände zu gelangen und damit die für ihn perfekte Mischung aus Range Rover und Unimog zu erschaffen.
Welche Zutaten zeichnen den Geländekumpel aus? Offenbar landet man äußerlich auch in der Gegenwart bei der kastigen Formgebung eines Land Rovers. Ehrensache sind Leiterrahmen, Unterfahrschutz, Starrachsen, Untersetzungsgetriebe, drei sperrbare Differenziale, Luftschnorchel. Zur Kür des seitenlangen Lastenheftes gehörten solche mittlerweile exotischen Dinge wie ein 249 PS/183 PS starker Dreiliter-Diesel mit sechs Zylindern in Reihe von BMW, der den 2,7 Tonnen-Allradler fleißig voranbringt. Zur Kraftübertragung will sich auch ein Ratcliffe nicht mehr in historischen Handschaltungen verirren, eine Achtstufen-Automatik von ZF muss es schon sein – onroad und offroad auf vielen Kilometern hat sie uns in Nullkommanichts überzeugt. Skurril ist die Kugelumlauflenkung, ein echtes Relikt aus der schweren Nutzfahrzeugszene: schafft im Gelände geschmeidiges Lenken ohne störende Rückstellkräfte. Auf der Straße könnte man dies nach unseren Erfahrungen wohlwollend als charaktervolle Grenadier-Eigenheit einordnen. Denn man hat beständig das Gefühl, korrigierend eingreifen zu müssen, damit man nicht vom Kurs abkommt. Das passt schon zum 4,90 Meter langen Riesen mit seinem 13,5-Meter-Wendekreis.
Was hat uns am meisten beeindruckt? Die eigenwillige und wohldurchdachte Anordnung fürs Schalten und Walten im Cockpit. Hinterm Steuer unterhalb der Windschutzscheibe gibt’s weitgehend nur Warnmeldungen. Zwischen Fahrer und Beifahrer sitzen Automatikwählhebel und der mit Schmackes zu bedienende Untersetzungsgetriebe-Knüppel. An der oberen Mittelkonsole sind die robusten Schalter und Drehregler für gängige Funktionen untergebracht, darüber thronen Lüftungsdüsen und Bildschirm. Hier liest man zudem Tempo und Drehzahlen ab. Die gesamte Einheit für Offroad-Feineinstellungen im weitesten Sinne hängt feinsäuberlich aufgereiht am Dach, was an die Struktur im Flugzeugcockpit erinnert: mega originell und handlich.
Was sorgt für innere Sauberkeit nach hartem Geländeeinsatz? Fünf Ablassventile im Innenraum – denn alles ist auf robust getrimmt, sowohl die spitzenmäßigen Recaro-Sitze als auch Schalterkulissen und die gesamte Elektronik scheuen keinen Wasserkontakt. Salopp gesagt könnte man mit offenen Fenstern durch die Waschanlage fahren. In der Realität dürfte eher mal mit einem Schlauch etwas abgespritzt werden.
Wo läuft der europäische Brite vom Band? Der fünfsitzige Ineos Grenadier Station Wagon wird im ehemaligen Smart-Werk im französischen Hambach gebaut und punktet mit einer schier unendlichen Liste eigenwilliger Lösungen. Er kostet ab 72.640 Euro.