


Ein Seehund auf vier Rädern
Alltagstest: Das mittelgroße SUV soll ein Plug-in-Hybrid-Antrieb mit hohem elektrischem Anteil bei normaler Fahrweise über 1000 Kilometer weit bringen. Wir klären und erklären, ob und wie das funktioniert.
Von Bernd-Wilfried Kießler
Was ist das für ein Auto? Das erste Hybridmodell des chinesischen Herstellers BYD in Deutschland, genauer ein Plug-in-Hybrid, der bei uns üblicherweise PHEV abgekürzt wird (englisch: plug-in hybrid electric vehicle). Bei BYD nennen sie’s DM-i – das steht für Dual Mode-intelligent. Boost, um die Rätsel in der Typenbezeichnung weiter zu lüften, heißt so viel wie Steigerung und bezeichnet die einfachste Ausstattung. Bliebe noch der Markenname – nicht einfach, den einem interessierten Passanten mit geringen Englischkenntnissen zu erläutern:
„Was’n das für’n Auto?“
„Bi-Wai-Di.“
???
„Be-Ypsilon-De.“
„Und das heißt?“
„Eine Abkürzung für Build your dreams.“
???
„Das ist englisch und bedeutet soviel wie: Verwirkliche deine Träume.“
„Aha, ein Chinese.“
Die Typenbezeichnung Seal hat in der englischen Sprache zwei Bedeutungen: Siegel oder Seehund. Da andere BYD-Autos Dolphin und Sealion („Delphin“ und „Seelöwe“) heißen, nehmen wir mal an, die Namensgeber haben den Fische fangenden Schnellschwimmer im Sinn gehabt. Robben sind allerdings Säugetiere und haben keine Kiemen, an welche die Lufteinlass-Schlitze an der Bugpartie erinnern.
Wie fühlt man sich in diesem Auto? Den Innenraum des mittelgroßen SUV haben seine Konstrukteure gut genutzt – in beiden Reihen sitzt man komfortabel in Sachen Bein- und Kopffreiheit. Die dunkle Gestaltung wird durch ein weit nach hinten reichendes Panoramaglasdach aufgehellt, das per Sprachsteuerung binnen zehn Sekunden zu öffnen ist und bei allzu viel Sonnenschein über eine Jalousie verfügt. Ein wenig Farbe gibt’s auch – tagsüber grüne Ziernähte und bei Dunkelheit Ambientelicht in wählbaren Farben. Der übergroße Bildschirm beherrscht die Armaturentafel. Start-Stopp, die Fahrtrichtungen und die Fahrprogramme Eco-Normal-Sport und auch Schnee werden auf der Mittelkonsole geregelt. Auf Fingerdruck dreht sich die Mattscheibe von der Waage- in die Senkrechte – ein Spaß, mehr nicht. So groß der Bildschirm, so flach die Heckscheibe. Man mag sich an den schlitzartigen Ausblick nach hinten gewöhnen – etwas mehr Glas würde den rückwärtigen Blick zum Zwecke der Sicherheit entspannen.
Was für einen Antrieb hat das Auto? Wir schrieben es eingangs schon: Ein Benzintriebwerk und ein Elektromotor arbeiten zusammen. Dabei scheint der 1,6-Liter-Vierzylinder angesichts eines Leergewichts von über zwei Tonnen etwas schmalbrüstig. Das macht aber nichts, denn den Hauptantrieb übernimmt sein E-Kumpel mit 197 PS/145 kW – das klingt schon besser und unterwegs natürlich auch leiser. Den Strom bezieht er aus zwei Quellen: einmal aus der Steckdose, was für rund 100 elektrische Kilometer reichen soll. Der 18,3 Kilowattstunden fassende Akku wird aber nicht leer, denn Kollege Otto mischt sich ein und wirkt als Kraftwerk an Bord. Er schaltet sich aber auch direkt zum Vortrieb zu, wenn mehr Leistung während des Überholvorgangs oder bei höheren Geschwindigkeiten abgerufen wird und kann das Vorankommen auch allein übernehmen, wenn der Akku schwächelt. Das hört sich kompliziert an, spielt aber für den Menschen am Steuer keine Rolle, da er sich darum nicht kümmern muss. Allerdings nehmen die Ohren der Insassen wahr, wenn Benzin verbrannt wird – in Form eines hörbaren, aber nicht störenden sonoren Tons. Der fällt natürlich besonders auf, weil es nur unter Strom sehr leise zugeht.
Tatsächlich 1000 Kilometer weit? Einklares Ja! Angesichts eines 60-Liter-Tanks und unseres gemessenen Testverbrauchs von 5,6 Liter Benzin kommt man von einer Tankung bis zur nächsten rein rechnerisch 1071 Kilometer weit. Das kann in der Praxis noch übertroffen werden: Wir begannen die Testfahrt mit vollem Tank und zu 100 Prozent gefülltem Akku. Nach 75 Kilometern sprang der Benzinmotor zum ersten Mal an, um nachzuladen. Mit diesen Reichweitewerten kann der Diesel tatsächlich in Vergessenheit geraten.
Was bietet dieses Auto? Vor allem dies: keine lange Aufpreisliste. Von den fünf angebotenen Lackierungen kosten vier 1100 Euro zusätzlich, nur Grau ist im Grundpreis von 38.900 Euro inbegriffen. Ansonsten schaukeln sich die beiden Ausstattungen Comfort und Design hoch bis auf 44.500 Euro. Wir sollten noch ein Wort über die Beförderungskapazität verlieren: Gegenstände müssen über eine 79 Zentimeter hohe Ladekante gehoben werden, der Kofferraum unter der Abdeckung ist mit 425 Litern guter Durchschnitt. Die Rücksitzlehnen werden durch Ziehen an Schlaufen verstellt und bei Bedarf nach vorn umgelegt. Dann steigt dieser Teil des Ladebodens leicht, aber stufenlos nach vorn an. Trachtete man einst danach, mit kleinen Rädern und ebensolchen Radkästen den Innenraum möglichst wenig einzuschränken, so muss heutzutage alles groß sein: Unter 19-Zoll-Reifen geht’s auch im BYD Seal U nicht. Sie haben den Vorteil, kleinere Unebenheiten souverän zu überrollen. Noch dazulernen muss die Sprachsteuerung: Manche Anweisung befolgt sich willig und freundlich, bei anderen Änderungswünschen muss sie passen.
Autogramm
BYD Seal U DM-i Boost
Typ: SUV; Preis: 38.900 Euro; Länge: 4,78 Meter; Breite: 1,89 Meter; Höhe: 1,67 Meter; Radstand: 2,72 Meter; Leergewicht: 2015 Kilogramm; Zuladung: 335 Kilogramm; Kofferraum: 425/1440 Liter; Sitze: fünf; Tankinhalt: 60 Liter; Motor: Otto-Vierzylinder; Hubraum: 1498 Kubikzentimeter; Leistung: 98 PS/72 kW bei 6000 U/min; Drehmoment: 122 Newtonmeter bei 4000-4500 U/min; Elektromotor: 197 PS/145 kW; Drehmoment: 300 Newtonmeter; Systemleistung: 218 PS/160 kW; Getriebe: Stufenlose CVT-Automatik; Spitze: 170 km/h; 0 auf 100 km/h: 8,8 Sekunden; Normverbrauch bei entladener Batterie: 6,4 Liter Benzin, Testverbrauch: 5,6 Liter.


